Seite - 291 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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schichte aus boxtypischen Handgemengen, okkasionellen Abenteuern und den
folgende Sanktionen: Er unterliegt im Rummelboxkampf, gerät in eine Prügelei
und wird Opfer eines Rachefeldzugs.425 Ausschlaggebend wird Samson-Körn-
ers Erfahrungs- und Wahrnehmungshorizont jedoch von monetär-ökonomi-
schen Diskursen geprägt; der Lebenslauf des Boxers gewinnt erst Kontur vor
dem Hintergrund wirtschaftlicher Umwälzungen. Als Landstreicher macht er
sich auf den Weg nach Hamburg, wo er für „zwanzig Pfennig die Nacht in einer
Herberge“426 zubringt; er erwirbt einen neuen Rock, löst ein Bahnticket erster
Klasse427, besucht das Hamburger Vergnügungsviertel St. Pauli und beobachtet
dort im „Panorama alle Unglücksfälle, die es überhaupt gab auf der Welt“428.
Gegen den ständig drohenden (existenziellen) Kapitalverlust rüstet sich Sam-
son-Körner durch die Generierung merkantiler Mehrwerte:
Ich versuchte, mein Geld immer auf einer gewissen Höhe zu halten, indem ich
allerhand kaufte und verkaufte, hauptsächlich angehende alte Schuhe, Sachen, die
jeder braucht, bei denen man ein paar Groschen verdienen kann; aber das Geld
ging direkt weg wie Butter in der Sonne.429
Für das „bloße Gehen über eine Brücke“430 in Cardiff kommt Samson-Körner
im benachbarten Bristol dann ins „Loch“431. Im Gefängnis sieht er sich mit
Wetten als einem zentralen Teil der ökonomischen Moderne konfrontiert.432
Samson-Körner kommt durch einen Gefängniswärter mit dem Kartenspiel in
Kontakt; als Wetteinsatz schlägt der Aufseher Ungewöhnliches vor:
Er war sehr dick und ziemlich krank und brauchte etwas Bewegung auf Verord-
nung des Arztes und mußte daher etwas Karten spielen. Da wir nun kein Geld bei
uns hatten, das Spielen ohne Geld aber wie ein Essen ohne Salz ist, überlegten wir
lange hin und her, bis uns der Dicke endlich den Vorschlag machte, er wolle uns
dafür Geld zahlen, daß wir Pfeife rauchten.433
425 Vgl. Brecht 1997b, S. 222, 227 u. 229ff
426 Ebd., S. 217
427 Vgl. ebd., S. 232
428 Ebd.
429 Ebd., S. 217
430 Ebd., S. 220
431 Ebd.
432 Zur Geschichte des Wettens vgl. Elias 1984, S. 26; zur kulturgeschichtlichen Analyse der mit
Boxen integral verbundenen Wettleidenschaft vgl. Kohtes 1999, S. 25ff, u. Kosmopolit 1927, S.
129f
433 Brecht 1997b, S. 221 291
„Zeitfigur“
im
Ring:
Brechts
Diskurserweiterungen
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440