Seite - 295 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Bild der Seite - 295 -
Text der Seite - 295 -
Pluralisierung der Selbst- und Welterfahrung macht in den 1920er-Jahren auch
vor dem Boxen nicht Halt.
Problematik des Machens: Das Renommee
Brechts Romanfragment Das Renommee ist zum größten Teil in der ersten
Hälfte des Jahres 1926 als Gemeinschaftsprojekt von Elisabeth Hauptmann,
Emil Burri und Brecht entstanden452, wobei von einer „zumindest indirekte[n]
Beteiligung Samson-Körners“453 ausgegangen wird.454 Als Vorstufe soll Brecht
1925 ein Erzählprojekt mit dem Arbeitstitel Monographien bedeutender Män-
ner entworfen haben455; für Das Renommee sind signifikant viele Projekttitel im
Umlauf – Boxerroman; Der Boxer; Die Boxer von Kuba; Boxkampf auf Kuba; Der
Mann, der Ruhm sammelte.456 Ungewiss scheint indes, welchen thematischen
und motivischen Vorgaben Brecht dabei tatsächlich gefolgt ist. Der Einfluss von
George Bernard Shaws ab 1885 in Fortsetzungen publiziertem, im Boxermilieu
angesiedeltem Roman Cashel Byrons Profession wird in der Forschung – äußerst
widersprüchlich – als maßgeblich beziehungsweise als nicht nachweisbar erach-
tet.457 Acht Fassungen (A1–A8) und eine Dialog-Passage (B1) liegen von dem
Bruchstück vor; die frühesten Texte dürften jene sein, in denen eine dramatische
Bearbeitung des Stoffes zu finden ist (A5–A8; B1). Auf die „reale Vorlage“458
des Romans wird häufig verwiesen.459 Wolfgang Jeske zitiert aus den 23 im Ber-
liner Brecht-Archiv lagernden Manuskriptseiten, in denen Hinweise zu finden
seien, dass sich der Text in „seinen Tatsachen an den Weltmeisterschaftskampf
Dempsey/Carpentier“460 anlehne, von dem Brecht mutmaßlich aus der Wochen-
schau im Kino und aus Zeitungsartikeln erfuhr461: Der ehemalige Kohlen- und
Hafenarbeiter Jack Dempsey wird 1919 Schwergewichtsweltmeister und in
Folge zum kultisch verehrten Sportstar; am 2. Juli 1921 verteidigt Dempsey in
452 Vgl. Knopf 1996b, S. 248; zur ungewissen Datierung vgl. Jeske 1984, S. 85
453 Jeske 1984, S. 85
454 Klaus-Detlef Müllers Vermutung, dass die autobiografischen Aufzeichnungen Hans Breiten-
sträters Brecht zum Lebenslauf angeregt hätten, ist nicht weiter belegt, vgl. Müller 1980, S. 77
455 Vgl. Jeske 1984, S. 85
456 Vgl. ebd., S. 88; weiters firmiert der Roman unter den folgenden Projekttiteln: Der sanfte Druck,
den die demokratische Zeitung auf Gegner von Georges Verteidiger ausübt; Einige Punkte aus dem
Boxer-Roman; Kuba; Boxer, vgl. Ramthun 1972, S. 189f
457 Vgl. Shaw 1928; Knopf 1996b, S. 248; Jeske 1984, S. 86
458 Jeske 1984, S. 86
459 Vgl. Knopf 1996b; S. 248, Jeske 1984, S. 86f; Meinhardt 1996, S. 135f
460 Jeske 1984, S. 86
461 Vgl. Kohtes 1999, S. 65; Jeske 1984, S. 87 295
„Zeitfigur“
im
Ring:
Brechts
Diskurserweiterungen
|
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440