Seite - 300 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Bild der Seite - 300 -
Text der Seite - 300 -
licher Höhenflug sei, wie weiter oben zitiert, einzig die „Folge von Sichzusam-
mennehmen“494. Der Boxer im Renommee-Roman will sich auch ein „gesundes
gutbürgerliches Bankkonto“495 anlegen; für eine Modefirma stellt er daher sei-
nen Namen zur Markteinführung eines „Frühjahrstrohhuts“ 496 zur Verfügung;
wie ein „blutgierige Meute“497 wird er von Frauen verfolgt; ihm wird geraten,
seine „hübsche Nase“498 nicht kaputtschlagen zu lassen, denn sonst sei es mit
den „Filmen aus, und da steckt mehr Geld drin als im Boxen“499. In geheimer
Synchronie zu all dem steht aber Carrares „Geschäftsgeheimnis“500: Die Exis-
tenz des Boxers hängt nämlich davon ab, dass
niemand erfährt, daß ihn, als er schon die Europameisterschaft in der Tasche hat,
ein New Yorker Amateur von nur halb so großem Gewicht, Billie Mike, im übrigen
sein Freund, im Hinterzimmer einer Pariser Bar nach einem kleinen Zank durch
überlegene Technik ausgeknockt hat. Von diesem Moment an ist Georges anfäng-
licher Glaube, er sei erste Weltklasse, für immer erschüttert.501
Im Fabelentwurf A5 schreibt Brecht, dass Carrare502 nach dem Gewinn der
Europameisterschaft versuche, einen „Kampf mit einem mittleren Mann zu ma-
nagen, und plötzlich ist es ein Kampf um die Weltmeisterschaft. Der schöne
George weiß genau, daß er nur ein Gehirnboxer ist, ein Talent, das den End-
kampf nur fürchten lassen darf. Seine Chance ist Kaltblütigkeit, seine Gefahr
ist Sportsgeist.“503 Alle Welt setzte auf ihn, ausgenommen er selber.504 In der
Dialog-Passage B1 bekennt der Boxer, er sei ein „geschlagener und erledigter
Mann“505. Für den Homo athleticus, der auch immer Homo oeconomicus ist,
sind Trainingseifer, Körperschulung und die „Überwindung von Angst und
Zweifel“506 keine Garantie mehr für Karriere- und Lebensglück; eine über-
mächtige Kulturindustrie fesselt das Individuum. In den verzweigten Echokam-
494 Brecht 1997a, S. 206
495 Brecht 1989a, S. 424
496 Ebd.
497 Ebd.
498 Ebd., S. 426
499 Ebd.
500 Ebd., S. 424
501 Ebd.
502 Hier bereits unter dem Namen George Capaqua, vgl. Fußnote 470 in diesem Kapitel
503 Brecht 1989a, S. 435
504 Vgl. ebd., S. 430
505 Ebd., S. 438
506 Jost 1979, S. 53
300 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440