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kampf“244 auf eine bestimmte Rundenzahl einzugrenzen und – wie in Als Papa
Tennis lernte eigens betont – „dadurch marktfähig zu gestalten“245.
Zuschauermasse, Geschäftemacherei, Sportprofessionalismus, Boxberufskul-
tur und Mediensportgeschichte lässt Musil im Kessel der Arena förmlich zum
zeittypischen Amalgam verschmelzen. Der daraus resultierenden ökonomischen
„Überformung“246, die sich als durchkommerzialisierte Sportkultur offenbart
und „fest im Ernst des Geschäftes verankert“247 scheint, begegnet er in Kunst
und Moral des Crawlens jedoch umgehend mit ironischer Beanstandung: Der
zum heroischen Solitär stilisierte Boxer sei „nicht nur ein Genie“248, entstellt der
Autor das Bild vom Boxer als Leittypus, „sondern – solange er keine Prozente
nehme – auch ein Heiliger“249. Der moderne Mensch mit seiner Schwärmerei
für eine „materialistische Lebenserklärung“250 laufe Gefahr, so Musil nur we-
nige Jahre später in Die Amsel bereits ohne spöttische Beimischung, zu einer
„wirtschaftliche[n] Maschine“251 zu werden. Musil begreift Sport keineswegs
als ein Mittel zur „Verschleierung ökonomischer Interessen“252. Statt Boxen un-
differenziert mit Geld, Glamour und Menschenansammlungen in Verbindung
zu bringen, analysiert der Autor den Zusammenhang von Publikum, boxtech-
nischer Innovation und tief greifender Ă–konomisierung vor einer krisenhaf-
ten Zeitkulisse. Musil gibt, wie oben erwähnt, in Als Papa Tennis lernte vor, das
„ganze Geheimnis“253 des Geistes des Sports entschleiern zu wollen. Statt aber
das wohl unlösbare Rätsel zu lüften – Zauberer lässt Musil lieber im Mann ohne
Eigenschaften auftreten254 –, rekurriert der Autor mit der Auflösung der Frage
(„aus dem Zusehen“255) auf ein charakteristisches Korrespondenzverhältnis zwi-
schen Boxen und der Weimarer Zeit: Boxen weist, wie festgestellt, auch bei
Musil über das rein Sportliche hinaus und streut diskursiv in die Sphären des
Zuschauerbezugs – und somit auch in jene des Ökonomischen und Alltags-
kulturellen. Boxen als Sport verlangt nach Publikum; die einlässlich kritische
244 Krockow 1980, S. 22
245 Musil 1978h, S. 691
246 Marschik 2008, S. 135
247 Musil 1978e, S. 792; zur Kritik der Körper-Kapitalisierung um die Jahrhundertwende vgl. Baur
1980, S. 110
248 Musil 1978g, S. 698
249 Ebd.
250 Musil 1978d, S. 549
251 Ebd.
252 Baur 1976, S. 142
253 Musil 1978h, S. 691
254 Vgl. Musil 1989a, S. 513
255 Musil 1978h, S. 691 (Hervorh. im Orig.) 333
Primat
der
Reflexion:
Musils
Reorganisation
des
Boxens
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und KapitelĂĽberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: LĂĽckenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440