Seite - 345 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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tenrecken mit den Muskelpaketen werden angestaunt wie „andere interessante
Kuriositäten auch“352. Die Reduktion des Menschen auf Körpertechnisierung
und Kraftökonomie, räumt Musil in Als Papa Tennis lernte ein, resultiere aus
entfremdetem, von außen programmiertem Körperverhalten:
Ich war fast ganz und gar ungeistig, nur um am nächsten Tag geistig frisch zu sein.
Es kam mir beim Ringen wenig Seelisches in den Sinn, und wenn ich mich wie
ein Tier betrug, so war mir eben gerade das erwünscht. Ich bin heute noch der
Meinung, daß Geistesabwesenheit außerordentlich gesund ist, wenn man Geist
besitzt, unter anderen Voraussetzungen jedoch auf die Dauer recht gefährlich!353
Musil entlarvt das „Verlangen nach athletischer Vorbereitung des Körpers“354 als
manipulativ: Es gebe, konzediert er, „nichts, wo sich der lächerliche Anspruch
der Leibesübungen, eine Erneuerung des Menschen zu sein, so naiv, so protzig,
so instinktsicher ausdrücken könnte wie in diesem Zusammenhang“355. An sei-
ner skeptischen Haltung gegenüber der massenpsychotischen Begeisterung für
den Sport hält Musil fest. Man könne, höhnt er in Als Papa Tennis lernte, die
dem Sporterlebnis ähnlichen physischen und psychischen Zustände auch beim
„Kartoffelgraben“356 erfahren. In der Erzählung Der Riese Agoag will sich ein
Mann durch die Etablierung von Muskelmasse und sportlicher Durchschlag-
kraft Selbstvergewisserung verschaffen. Zu Beginn des Textes wird der Sportler
vorgestellt:
Wenn der Held dieser kleinen Erzählung – und wahrhaftig, er war einer! – die
Ärmel aufstreifte, kamen zwei Arme zum Vorschein, die so dünn waren wie der
Ton einer Spieluhr. Und die Frauen lobten freundlich seine Intelligenz, aber sie
„gingen“ mit anderen, von denen sie nicht so gleichmäßig freundlich sprachen.357
Die Abkehr des Athleten von der selbstauferlegten Leistungsdynamisierung er-
folgt durch die Einbringung spezifischer Körperimagination in die Erzählung,
die sich dem Zusammenhang von Maschinenkult und übertriebenem Techni-
zismus verdanken:
352 Müller 2004, S. 130
353 Musil 1978h, S. 690f
354 Musil 1989a, S. 592
355 Musil 1978h, S. 688
356 Ebd., S. 690
357 Musil 1978a, S. 531 345
Primat
der
Reflexion:
Musils
Reorganisation
des
Boxens
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440