Seite - 355 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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sind. Der auf Funktionalisierung des rein Körperlichen geschrumpften Signatur
des Boxens stellt Musil das „feinste Zusammenwirken vieler Teile“426 gegenüber.
Das zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufkommende psychotechnische Optimie-
rungskonzept von Körper und Geist zeichne, da ist sich Musil als einer von
wenigen Autoren seiner Zeit sicher, durch die „Überschreitung der Bewusst-
seinsgrenze“427 markante Bewusstseins- und Körperspuren in die Athleten. In
seinen Tagebüchern gesteht Musil dem Sport derweil „konzentrierteste Leben-
digkeit“428 zu.
7.
Außen
und
Innen:
Psychotechnik
Kurzer Umweg: Historie der Psychotechnik
Im Mann ohne Eigenschaften sieht sich Ulrich mit der Kontingenz der Moderne
konfrontiert. Er reagiert darauf mit Boxen. Die komplexen Gefüge, die sich im
„reflexiven Handlungsraum“429 des Sports ausmachen lassen, werden im Fol-
genden unter die Lupe genommen: Die psychotechnischen Ordnungszusam-
menhänge, in die Ulrich im Mann ohne Eigenschaften verstrickt ist, sollen auf
dem analytischen Umweg über die Figur des Faust Magenschlag ebenso erörtert
werden wie Ulrichs Suche nach dem „aZ.“430, dem anderen Zustand. Die „Mo-
dewissenschaft des frühen 20. Jahrhunderts“431 – Musil bemerkt als Fachbeirat
im Bundesministerium für Heereswesen 1922 in der Auftragsschrift Psycho-
technik und ihre Anwendungsmöglichkeit im Bundesheere, dass die Psychotechnik
„sehr jungen Datums“432 sei – hat in der Zeit der Weimarer Republik in zahl-
losen kultur- und arbeitstheoretischen Abhandlungen Spuren hinterlassen.433
426 Meinhardt 1996, S. 80
427 Fleig 2008, S. 211
428 Musil 1976a, S. 350
429 Lethen 1994, S. 85
430 Musil 1989b, S. 1901
431 Ebd., S. 206
432 Musil 1980, S. 181; Musils frühe Befassung mit Psychotechnik ist von der Forschung bestätigt,
vgl. Corino 2003, S. 1899; Müller 2004, S. 120f
433 Vgl. Fleig 2008, S. 63–78; Anne Fleig erstreckt ihr psychotechnisches Forschungsfeld unter
anderem auf die Bereiche Angewandte Psychologie, Industrielle Psychotechnik sowie die Ar-
beitswissenschaften in den 1920er-Jahren; zu der in den Wahrnehmungsexperimenten in der
frühen Sowjetunion wurzelnden Geschichte der Psychotechnik vgl. Vöhringer 2007, S. 8–34;
ihren methodologischen Ansatz bezeichnet Margarete Vöhringer übrigens in geradezu dispo-
sitivanalytischer Perspektive, wenn sie in ihrer Studie Avantgarde und Psychotechnik notiert, dass
für die Untersuchung der Psychotechnik „Rückkopplung, Vernetzung und Pfropfung“ konstitutiv 355
Primat
der
Reflexion:
Musils
Reorganisation
des
Boxens
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FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440