Seite - 368 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
Bild der Seite - 368 -
Text der Seite - 368 -
„Vorkommnisse“547 liebt, „die dem Ich entrücken“548 – „Kampfkraft als Denken.
Männlicher Kopf. Diffuser Zustand der Feindseligkeit“549, notiert Musil; Anders’
Geliebte stellt das „klassische Übungsmaterial der heranreifenden großbürgerli-
chen Jugend“550 dar, „was man in der Boxersprache die Arbeit am Ball“551 nenne.
In der Figur des Magenschlag probt der Autor schließlich das Zusammenwirken
psychotechnischer Komponenten.552 Als Opponenten stehen sich in der dialogi-
schen Skizze in den Tagebüchern gegenüber, als Ironisierung der wettkampfmä-
ßigen Emphase des Boxens: die „Zeit“553, personifiziert in Tempora Maier, und
Magenschlag, dem Musil auch die später gestrichenen Namen „Schmetterling“
und „Gradherz“ verleiht.554 Tempora liebt „Boxer – mit nicht ganz gutem Gewis-
sen“555, und sie sieht sich in beschaulichem Ambiente mit Magenschlags infanti-
ler Zuneigung konfrontiert: „Sommerliche Kleidung, Hitze, Landpartie.“556 Ma-
genschlag zu Tempora Maier: „Sie hätten sich keinen besseren Begleiter wählen
können, Tempora.“557 In die Magenschlag-Figur senkt Musil bereits Körper-,
Reflexions- und Trainingsdiskurse ein; Faust prahlt etwa, dass seine „rechte
Hand […] einen zweijährigen Stier mit einem Schlag zu Boden“558 strecken
könne: „Mit fünf Hieben gegen den Schädel erledige ich auch einen Stier von
drei Jahren.“559 Faust rechnet Tempora vor, dass er für seinen Weltmeisterschafts-
triumph 23 Minuten Kampfzeit benötigt habe, dass seine „Hand 25000 Mark in
der Minute“560 wert sei; schlage ein Gegner mit einem „Schmiedehammer“561 auf
Magenschlags Arm, so springe dem Angreifer „der Stiel aus der Hand“562. Musil
hinterfragt die pompös zelebrierten Schematisierungen des Rekord- und Wett-
kampfsports, die er ebenso als „Maske des Sports“563 enttarnt wie den individu-
ellen Wunsch nach Muskelpanzerung und Körperreliefwahn. Magenschlags in-
547 Ebd.
548 Ebd.
549 Ebd.
550 Ebd., S. 1971
551 Ebd.
552 Vgl. Fischer 2001, S. 104f
553 Musil 1976a, S. 553
554 Vgl. ebd.
555 Ebd.
556 Ebd., S. 554
557 Ebd.
558 Ebd.
559 Ebd., S. 554f
560 Musil 1976a, S. 555
561 Ebd., S. 558
562 Ebd.
563 Musil 1989a, S. 285
368 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440