Seite - 376 - in FAUST UND GEIST - Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
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ist: Er weiß immer, was er zu tun hat; er kann einer Frau in die Augen schaun; er
kann in jedem Augenblick tüchtig über alles nachdenken […]. Er […] mag alle
diese Eigenschaften haben. Denn er hat sie doch nicht! Sie haben das aus ihm
gemacht, was er ist, und seinen Weg bestimmt, und sie gehören doch nicht zu ihm.
Wenn er zornig ist, lacht etwas in ihm. Wenn er traurig ist, bereitet er etwas vor.
Wenn er von etwas gerührt wird, lehnt er es ab. Jede schlechte Handlung wird ihm
in irgendeiner Beziehung gut erscheinen. Immer wird für ihn erst ein möglicher
Zusammenhang entscheiden, wofür er eine Sache hält. Nichts ist für ihn fest. Alles
ist verwandlungsfähig, Teil in einem Ganzen, in unzähligen Ganzen, die vermut-
lich zu einem Überganzen gehören, das er aber nicht im geringsten kennt.618
Man möge, hält Musil in den Notizen unter dem Titel Zum Nachwort (u. Zwi-
schenvorwort) fest, nachzuschlagen im Nachlassband des Mann ohne Eigen-
schaften, nicht vergessen, dass Ulrich „seiner Natur nach tatkräftig u. ein Mann
mit Kampfinstinkten“619 sei, der „gewöhnlich seinen nackten Körper nach vorn
und hinten biege, ihn mit den Bauchmuskeln von der Erde aufhebe und wieder
hinlege“620; seiner athletischen Gestalt will Ulrich „Ausdruck“621 sowie „Hand-
lungsbereitschaft“622 verleihen.
Filz des Boxens: Ein „notvoller Zustand“
Im Mann ohne Eigenschaften ordnet Musil seinen Gedankenensembles zu Ul-
richs Gassenboxkampf „kaum wahrnehmbare Zeichen“623 und „aufs genaueste
einander zugeordnete Bewegungen“624 als treibende Kräfte hinzu. Boxen als
körperliche Aktivität, die Ulrich auch jenseits des Theoretisierens und Reflek-
tierens schätzt, wird zu einem Phänomen mit Signalcharakter. Die Fesseln kör-
perlicher Inaktivität, die Ulrich zu Beginn des Romans angelegt bekommt625,
wird er, von den wenigen Boxübungen abgesehen, nicht mehr abstreifen; Ulrichs
Vater deponiert in einem Brief an seinen Sohn demonstrativ den Hinweis, wie
618 Musil 1989a, S. 65
619 Musil 1989b, S. 1943
620 Musil 1989a, S. 46
621 Ebd., S. 285
622 Ebd.
623 Ebd., S. 28; vgl. den entsprechenden Textentwurf: „Erstens liebte er Boxen, Fechten und jede Art
Sport, bei der man […] in einem kleinsten Zeitraum […] von kaum wahrnehmbaren Zeichen
geleitet“ wird, vgl. Musil 2009, Transkriptionen & Faksimiles, Nachlass Hefte, Heft 36/18
624 Ebd.
625 Vgl. ebd., S. 12
376 | Teil
II.
Im
Moderne-Labor
FAUST UND GEIST
Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Titel
- FAUST UND GEIST
- Untertitel
- Literatur und Boxen zwischen den Weltkriegen
- Autor
- Wolfgang Paterno
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20545-6
- Abmessungen
- 16.1 x 25.5 cm
- Seiten
- 446
- Schlagwörter
- Literature, Sport, Boxing, Weimar Republic, Cultural Studies, Literatur, Sport, Boxen, Weimarer Republik, Kullturhistorie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen 15
- Kritikpunkte: Propagierungsmaschinerie 21
- Fokussierung: Recherchewege und Kapitelüberblick 29
- Vorstellung der Methode: Dispositiver Gefechtsraum 32
- Forschungsberichte: Lückenhafte Spurenlage 45
- Haupt- und Nebenschauplätze: Epochensymptom 53
- Ringfeldsichtung 113
- Kraft- und Körperkulte: Boxsport-Mode im Unterhaltungsroman 118
- Box-Demontage: Faustkampf in der elaborierten Erzählliteratur 160
- „Zeitfigur“ im Ring: Brechts Diskurserweiterungen 237
- Primat der Reflexion: Musils Reorganisation des Boxens 304
- ZUSAMMENFASSUNG 389
- ANHANG
- Bibliografie 402
- Bildnachweis 438
- Dank 439
- Namensregister 440