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Dichtung 635
Interpretation
Selbstvorstellung
Grasers
Epigramm auf
das Emblem der
Accademia degli
Agiati
Das Gedicht ist innerhalb der Brixner und Trientner Bischofsbukolik in dreierlei
Hinsicht bemerkenswert : Erstens weist es mit seiner symmetrisch von Dialogen
gerahmten Traumerzählung eine besonders klare und sinnfällige Struktur auf, die
ohne antikes Vorbild scheint. Zweitens wird die ĂĽbliche Allegorisierung hier beson-
ders weit getrieben : Nicht nur ist Palaemon offensichtlich Felice d’Enno (vgl. nur
den Kehrvers auf den S.Â
VI–VIII : Vive diu FELIX, in saecula vive, Palaemon ; „Lebe
lange und GLÜCKLICH […]“ bzw. „Lebe lange, FELICE, lebe jahrhundertelang,
Palaemon“) und Daphnis der Papst, auch Tityrus lässt sich plausibel mit dem Au-
tor, Menalcas mit dessen Gönner identifizieren. Drittens wird die Möglichkeit, die
christliche Hirtenmetaphorik mit dem Motivschatz der bukolischen Welt abzuglei-
chen, die ja sicher der Hauptgrund dafür ist, dass gerade Bischöfe so gern bukolisch
bedichtet werden, konsequenter genutzt als in den meisten anderen Fällen. So ist,
um nur zwei Beispiele zu nennen, das pedum, das Palaemon von Daphnis erhält
(VI), zugleich der traditionelle Hirtenstab der Bukolik und der Krummstab des
Bischofs, und dass Palaemon in pointierter Verkehrung eines beliebten bukolischen
Topos selbst in der größten Mittagshitze nicht einschläft, sondern sich liebevoll um
seine Herde kĂĽmmert (V), weist ihn von Anfang an als christlichen guten Hirten
aus.
Nur mehr im weiteren Sinne zur Trientner Bischofspanegyrik zu zählen ist eine
hs. (BCR, ms. 49.12.4) erhaltene, auf Bozen, 8. 4. 1754 datierte Selbstvorstellung
Giovanni Battista Grasers. In 46 flüssigen Hexametern informiert Graser einen „Bi-
schof“, bei dem es sich, wie das Datum zeigt, in Wirklichkeit um den Koadjutor
Firmian handeln muss, betont sachlich und in der dritten Person ĂĽber seine Perso-
nalien, Qualifikationen, Lebensverhältnisse und seinen Charakter. Der 36-jährige
Priester lebt zu dieser Zeit als Privatlehrer in Bozen (vgl. hierzu Heiss, H. 2004),
wäre aber, wenn Firmian Verwendung für ihn hätte, bereit, in dessen Auftrag in
seine Heimatstadt Rovereto zurĂĽckzukehren oder an jeden beliebigen anderen Ort
zu gehen. Diese poetische Blindbewerbung blieb anscheinend erfolglos, ist aber
eine interessante Quelle zu Grasers Biographie und in literarischer Hinsicht im
Tiroler Raum ein Unikum.
Aus dem Umfeld der Accademia degli Agiati haben sich zahlreiche Gelegenheits-
gedichte erhalten (Bonazza 1999), von denen hier zwei kurz vorgestellt seien. Das
erste (BCR, ms. 48.21), ein Epigramm von Giambattista Festi aus dem Jahr 1752,
beschreibt ihr Emblem, eine Schnecke, welche die Spitze einer hohen Pyramide
erklimmt (vgl. Abb. 99), und formuliert seine Moral aus : TĂĽchtigkeit ist nur durch
langsame, aber stetige BemĂĽhung zu erreichen. Dabei zitiert es auch das aus Pet-
rarca stammende Motto der Agiati (vgl. Maylender 1926–1929, Bd. 1, 97) an : Aus
giunto il vedrai per vie lunghe e distorte (Canzoniere 37,24) wird Distortum longum
cochlea tentat iter. / Tarda licet gressu scandet fastigia tandem („Die Schnecke sucht
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322