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Dichtung 639
Interpretation
Tognis, Elegiacum
carmen
Grammatica,
Ignominia devictae
Mortis
Die Erzählung verarbeitet verschiedene Quellen. Die Idee könnte aus Boeth. 1 pr. 4
stammen, wo Boethius seinen unerschütterlichen Gerechtigkeitssinn beteuert, und
der Mittelteil (Bl. A3v–B1r) lehnt sich eng, oft bis hin zum Wortlaut, an Boeth. 1 m.
1–pr. 3 an, wobei allerdings die Gestalt der Philosophia anlassbedingt durch die der
Themis ersetzt wird. Die Randpartien dürften dagegen aus mittelalterlichen und
frühneuzeitlichen Legenden stammen (vgl. AS Mai, Bd. 6, 702–710, v.a. 707AB).
Formal steht das Werk in der Tradition der Heiligen-, genauer gesagt der Märty-
rerepik und ist dabei mit seiner souveränen Erzähltechnik und den flüssigen Hexa-
metern18 ein durchaus gelungener Vertreter dieser Gattung. Auch der am Schluss
nur kurz angedeutete Bezug zum vorliegenden Anlass ist sinnfällig : Boethius ist als
katholischer Heiliger19 einerseits und Vorkämpfer der Gerechtigkeit andererseits
ein passendes Vorbild für einen Doktor des Kirchenrechts.
Ein trauriges Produkt ist dagegen die Elegie des Kirchenrechtstudenten Pietro
Angelo Tognis auf die Promotion eines Stefano Antonio Molari, die 1733 in Trient
als Einblattdruck erschien.
Die einzige selbständige Publikation zu einer medizinischen Promotion sind die
Applausus poetici („Poetische Beifallsbekundungen“ ; Innsbruck 1726) für den nach-
maligen Innsbrucker Medizinprofessor Hieronymus L. Bacchetoni (vgl. Abb.
101). Es
handelt sich ausnahmsweise um eine Sammlung mit lat. und italienischen Beiträgen,
deren bei weitem längstes und wichtigstes Gedicht die „Schande des besiegten Todes“
des aus Trient stammenden Philosophiestudenten Francesco Vigilio Grammatica
(vgl. Tovazzi, Nr. 317 ; Huter 1954, Nr. 2053) darstellt. Das sprachlich z.T. schwache
und dunkle, konzeptionell absurd-originelle Kurzepos erzählt eine mit Adam und
Eva beginnende, kühn aus heidnischen und christlichen Elementen geklitterte Welt-
geschichte, die vom Aufbegehren des personifizierten Todes, der Mors, gegen Gott
bzw. die himmlischen Götter gekennzeichnet ist und in Bacchetonis Promotion kul-
miniert : Nachdem Mors, um die Weltherrschaft zu erringen, die Gigantomachie und
die Sintflut inszeniert hat, kommt ein Götterkonzil überein, Bacchetoni in Medizin
promovieren zu lassen und ihr so den Todesstoß zu versetzen ; dieser überwindet sie
in seiner Defensio tatsächlich und vertilgt sie nur aus praktischen Gründen nicht
ganz aus der Welt. Von der Kombination aus guten Einfällen und schlechtem Lat.,
die im Detail begegnet, mag der erste Halbvers Fatorum modo fata cano („Ich besinge
den Tod des Todes“) mit seinem hübschen Paradox und dem unpassenden Versfüller
modo eine Vorstellung vermitteln.
18 Der einzige Halbvers (Bl. B2r) ist nicht nur eine vergilische Reminiszenz, sondern akzentuiert auch
passend den Moment, in dem Boethius der Kopf abgehackt wird : inclinatumque recidit / sponte caput.
19 Der Titel apostrophiert ihn unbefangen so, obwohl die Approbation der liturgischen Verehrung in
Pavia erst 1883 erfolgte.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322