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Dichtung 651
metrische Form
Meditations-
literatur
das Prädikat „unterhaltsam“ wird man ihnen kaum zugestehen. Auf eine Zueignung
an die Heilige Dreifaltigkeit und Christus, eine Anrede an den Leser und eine Bitte
an Gott um Inspiration folgen auf 370 Seiten 89 Gedichte mit insgesamt gut 35000
Versen, deren Inhalt sich kaum präziser zusammenfassen lässt, als dies der Zensor
tut : […] author […] plura ad fidem et praxim Christianarum virtutum spectantia
versu extollit, aliqua etiam vitia, quae easdem virtutes offendunt, censuris carpit. (Bl.
[i]v ; „[…] der Autor […] preist in Versform Mehreres, was sich auf den Glauben
und die AusĂĽbung der christlichen Tugenden bezieht, und bedenkt auch einige Las-
ter, welche ebendiesen Tugenden entgegenstehen, mit Tadel.“) Nur zu Beginn (S.
1–75) ist eine thematische Struktur erkennbar – auf die letzten Dinge folgen die
drei christlichen und die vier platonischen Tugenden sowie die sieben Todsünden –,
danach (S. 75–370) kommen bis zum Schluss in bunter Mischung weitere Tugenden
und Laster sowie andere ethisch und religiös relevante Verhaltensweisen und Phäno-
mene zur Sprache. Der Mangel an Aufbau setzt sich auch innerhalb der einzelnen
Gedichte fort. Sartore komponiert in dreizeiligen Strophen, die stets abgeschlossene
syntaktische Einheiten bilden, und dies begĂĽnstigt ein assoziatives Springen von
einem Topos zum nächsten. Tatsächlich gelangt der Autor oft nach einigen solchen
Sprüngen wieder zum Ausgangstopos zurück : Man vergleiche z.B. S. 1, Str. 10 Viro
forti vincla, cruces, / Ensis, rotae, poenae truces, / Mors sunt vanae larvae, nuces („Ei-
nem tapferen Mann sind Bande, Folter, Schwert, Rad, schreckliche Strafen und Tod
nur leere Gespenster, Kleinigkeiten“) mit Str.Â
18 : Acres vires dirae mortis / Et livorem
malae sortis / Flocci pendet homo fortis („Die bittere Macht des grausigen Todes und
die Missgunst schlimmen Geschicks achtet ein tapferer Mensch gering“).
Sartores bemerkenswerte Metrik basiert auf einer Abart der Sequenzstrophe aus
zwei akatalektischen und einem katalektischen trochäischen Dimeter mit Reim-
schema aab (also z.B.: Ad tribunal comparere / Nos oportet, et sufferre / Divinum
iudicium [S. 7 ; „Wir müssen vor Gericht erscheinen und das göttliche Urteil ertra-
gen“]), doch kann diese Grundform hinsichtlich Verslänge, Reimschema, ja sogar
Strophenlänge vielfältig abgewandelt werden. Oft beginnt dabei ein Gedicht rein in
einer einzigen Variante, im weiteren Verlauf mischen sich dann andere Formen ein.
Vermutlich hätte Sartore ohne diese freie Metrik seinen enormen Versausstoß nicht
realisieren können. Die Praxis an sich scheint allerdings nicht unüblich gewesen zu
sein, lässt sich doch auch an dem kurzen 1727 in Trient erschienenen Simonhym-
nus (s.o.) Ă„hnliches beobachten.
Seit dem Mittelalter hat die christliche Literatur Texte hervorgebracht, die den
Leser nur mittelbar zu christlichem Denken und Handeln, zunächst aber zum ein-
Zeugnis persönlicher Religiosität zu erklären scheint. Vgl. neben dem Inhalt i.A. etwa das Gedicht
Ad lectorem (Bl. [iv]r) : iuvabis / Te legentem („du [sc. das Buch selbst] wirst deinem Leser nützen“).
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322