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Dichtung 655
zweckentbundene
Dichtung
Widls Tirolensien
Turrati
sermones :
Thematik
Zum Abschluss sei die im Tirol dieser Zeit nach wie vor seltene Art lat. Dich-
tung besprochen, die nicht unmittelbar panegyrisch oder religiös zweckgebunden
erscheint. Sie wird am ehesten von Geistlichen praktiziert, die sich ihr bei gesicher-
tem Lebensunterhalt in ihrer Freizeit widmen können.
Der Jesuitendichter und Freund Jakob Baldes Adam Widl (1639–1709 ; vgl.
Romstöck 1898, 450–453), der zeitweise in Innsbruck unterrichtete, gab 1674 in
Ingolstadt drei Bücher Oden und ein Buch Epoden heraus. Diese Publikation ent-
hält zwei Tirolensien von außerordentlicher Anschaulichkeit, Frische und Sprach-
gewalt : Die Ode 2,50 beschreibt das Erdbeben des Jahres 1670 mit Epizentrum
bei Hall, die erste Epode (die übrigens mit dem zweiten Asklepiadeum ebenfalls
ein Odenmaß verwendet) besingt die Maria von Heiligwasser bei Igls. Das letzt-
genannte Stück, das über den obligaten Rückbezug auf Horaz’ Bandusiagedicht
(carm. 3,13) hinaus auch von Baldes Epode 8 auf die Quelle der Öttinger Maria
und seiner Ode 2,11 auf Maria Waldrast angeregt sein könnte, stellt ein schönes
Beispiel für die Entdeckung des ästhetischen Eigenwerts des Hochgebirges in der
lat. Literatur der Frühen Neuzeit dar : Arces horribili vertice pendulas, / Aeternis
alibi (marmoreos senes) / Implutas nivibus conspicies petras, / Montes calvitio glabros.
/
Vix usquam est oculis scena iocosior, / Quae tot dat cupidis pabula sensibus. (epod.
1,57–62 ; „Burgen auf schrecklichem Gipfel schwankend, Felsen bedeckt von ewi-
gem Schnee, Marmorgreise, wirst du in anderer Richtung erblicken, Berge kahl
und glatt. Kaum können die Augen irgendwo sonst ein so freudiges Schauspiel
genießen, das den hungrigen Sinnen so viel Nahrung gewährte.“)
Giulio Turrati, geboren 1706 in Volano bei Rovereto, trat in den Piaristenorden
ein und unterrichtete für diesen in Rom und Florenz. 1750 kehrte er in seine Hei-
mat zurück, wo er am 3. 12. 1764 starb. Er war ein begabter Stegreifdichter und
widmete einen Großteil seiner Freizeit der Poesie. Postum wurden seine Gedichte
in der Hs. BCR, ms. 58.27 zusammengeschrieben, die auf 309 Blatt das meiste
von dem umfasst, was heute noch von ihm erhalten ist (darunter auch einige ita-
lienische Reden). Aus ihr edierten 1790 Clementino Vannetti (dessen einleitendes
Commentariolum mit Biographie und kritischer Würdigung die wichtigste Quelle
zu Turrati darstellt) und 1851 der Klerus von Rovereto (zu Ehren seines neuen
Stadtpfarrers, mit italienischer Übersetzung) zwei bzw. vier Satiren, die sie dabei
aus der Sammlung herausgeschnitten zu haben scheinen. Turrati selbst hat anschei-
nend, jeweils unter einem Pseudonym, nur zwei seiner Gedichte herausgegeben,
1748 eine Ekloge in der Raccolta di componimenti für Firmian (s.o.) und 1761 einen
sermo in einer verschollenen Sammlung auf den Tod seines Freundes Girolamo Tar-
tarotti (vgl. Vannettis commentariolum 11–12).
Turrati hat Satiren (sermones), Bukolik, Elegien und Epigramme, Oden u.a. ver-
fasst. Hier können nur seine sermones vorgestellt werden, die einen großen und
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322