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656 Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773)
literarische
Technik zugleich den wichtigsten Teil seines Œuvres ausmachen. Die meisten dieser z.T.
an pseudonyme Adressaten gerichteten Gedichte bieten allgemein gehaltene, oft in
scharfem Ton vorgetragene, mitunter repetitive Sittenkritik. Sachlich interessanter
sind diejenigen sermones, die Turrati für und über seine Schüler verfasst hat (z.B.
BCR, ms. 57.28, Bl. 28r–33v mit einer seriokomischen Schüler-‚Römerschau‘), so-
wie diejenigen mit literaturkritischer Stoßrichtung. Manche der letztgenannten,
z.B. der von Iuv. 1 inspirierte vierte aus der Sammlung von 1851, wenden sich
gegen elende Schreiberlinge i.A., in anderen unterstützt Turrati Tartarotti in den
Fehden, die dieser v.a. gegen Benedetto Bonelli führte. Der Vielschreiber Bonelli
erscheint dabei etwa in BCR, ms. 58.27, Bl. 176r–177r als hemmungslos defäzie-
render Esel, und sein Schaffen wird auch im zweiten sermo der 1790er-Sammlung,
einer amüsanten Nekyia, vernichtend kritisiert.
Inhaltlich und im Ton orientieren sich v.a. die sittenkritischen sermones in erster
Linie an Juvenal (vgl. schon Vannettis Commentariolum, 8), doch kommen dane-
ben in jeder Hinsicht auch Horaz, auf den schon der Gattungsbegriff sermo ver-
weist, und Persius zu ihrem Recht. Der Aufbau ist meist locker und oft von der
Technik des ‚Aufmerksamkeitssprungs‘ geprägt : Der Sprecher wendet sich abrupt
vom bisherigen Thema bzw. Sittenbild ab und einem anderen zu, als ob seine Auf-
merksamkeit plötzlich von etwas Neuem in Anspruch genommen würde (z.B. Ser-
mones quattuor, 14 : Sed quid per compita et aedes / Concursus hominum vernarumque
indicat ? Ohe / […], „Aber was bedeutet der Auflauf von Menschen und Dienern an
Kreuzungen und vor den Häusern ? Oha ! […]“). Glanzlichter sind pointierte Tier-
fabeln und -allegorien, einfallsreiche Gleichnisse (z.B. Sermones quattuor, 5) sowie
die oft drastische Situationsdarstellung und Personencharakterisierung. In folgen-
der Szene aus einem Horaz’ Schwätzersatire (sat. 1,9) nachempfundenen Stück wird
der Sprecher etwa von einem Parasiten verfolgt, der ihm die Geheimnisse seiner
‚Kunst‘ aufdrängt (Sermones duo, 15) :
Hic erat interpellandi locus : at magis ille
Dicendo urgebat, vultum spargebat et ora
Inmundae guttis, vibrat quas lingua, salivae.
Hier hätte ich dazwischenfahren können, doch jener bedrängte mich noch heftiger mit
seinen Worten und bespritzte mir Gesicht und Antlitz mit Tropfen schmutzigen Speichels,
den seine Zunge versprühte.
In sprachlicher Hinsicht fällt noch auf, dass Turrati eine ganze Reihe von wieder-
kehrenden Formeln verwendet (z.B. das aus Hor. epist. 1,1,27 stammende fruges
consumere nati u.ä., „nur dazu geboren, Feldfrüchte zu verzehren“, für Menschen
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322