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Theater 663
Meditations-
dramen,
Loyolas Exercitia
spiritualia
Dramatik
Trient nur ergänzend berücksichtigt. Das für diese Epoche zur Verfügung stehende
Material ist, wie schon erwähnt, vergleichsweise reich. Von 1669 bis 1773 lassen sich
für Innsbruck 266, für Hall 132 und für Trient 89 Aufführungen nachweisen. Aus
allen drei Spielorten haben wir eine beträchtliche Zahl von Periochen überliefert.
Dazu kommen 13 lat. Spieltexte aus Innsbruck, fünf aus Hall und zwei aus Trient.2
Die hier behelfsmäßig ‚Meditationsdramen‘ (zum Begriff der literarischen Me-
ditation vgl. Butzer 2001) genannten Spiele bilden eine umfangreiche Gruppe von
Jesuitendramen, die im Schatten der aufwendigeren Schulschluss- und Festspiele
stehen. Im Gegensatz zu diesen orientierten sie sich weniger an der antiken Form
des Dramas als an den Exercitia spiritualia („Geistliche Übungen“ ; Rom 1548) des
Ordensgründers Ignatius von Loyola, die bis heute jeder Jesuit im Rahmen seiner
Ausbildung zu durchlaufen hat.3 Bei diesen ihrerseits auf mittelalterliche Vorgän-
ger zurückgreifenden Übungen handelt es sich um eine Anleitung zu einem vier-
wöchigen Stufenweg, der den sündigen Menschen reinigen (via purgativa, erste
Woche), erleuchten (via illuminativa, zweite und dritte Woche) und schließlich zu
Gott führen soll (via unitiva, vierte Woche). Dieser Prozess wird durch die Anwen-
dung dreier Seelenkräfte gefördert, welche die Sinne und den Intellekt stimulieren :
Das Gedächtnis stellt sich bestimmte evokative Orte (wie z.B. den Himmel oder
die Hölle) und Situationen vor, der Intellekt stellt Betrachtungen zu diesen Orten
und Situationen an und der Wille vergegenwärtigt sich das Vorgestellte durch die
applicatio sensuum („Einsatz der Sinne“). Die dramatischen Rückgriffe auf diese
Methode bauen auf der großen Rolle der situativen Vergegenwärtigung und der
sinnlichen Einbildungskraft auf.
Mit den Meditationsspielen entwickelte der Jesuitenorden eine originelle Form
der dramatischen Andacht, die im Gegensatz zur antiken Konzeption des Dra-
mas als Mimesis steht. Von einer Handlung im uns geläufigen Sinn kann man oft
nicht sprechen, weil sich die Szenen nur lose um Allegorien, Begriffe, Bibelzitate
u.Ä. gruppieren. Aktion und Personal sind stark reduziert. Die Handlungs- und
Fabelarmut wird durch sinnliche Impulse ausgeglichen (Licht, Bilder und Emb-
leme, besonders aber Musik ; vgl. Bauer 1994). Es geht hier also mehr um ein Sich-
2 Die Zahlen der Aufführungsbelege sind als Richtwerte zu verstehen. Eine Reihe von Stücken ist nur
aus chronikalischen Angaben bekannt, und bei diesen ist es manchmal nicht klar, ob sie sich auf ein
einziges Drama oder auf mehrere beziehen. Die tatsächliche Anzahl von Aufführungen war zweifellos
wesentlich höher, da bei weitem nicht alles verzeichnet wurde. Für eine Hochrechnung fehlen uns
aber verlässliche Parameter. Die Hauptquellen für Spielbelege sind für Innsbruck und Hall : Litterae
annuae (für Innsbruck zu ergänzen durch die historia domus : vgl. hier S. 332) ; Zwanowetz 1981 ;
Valentin ; Hastaba 1995/96 ; für Trient : Litterae annuae, De Finis 1983–1984 ; Hastaba 1995/96.
3 Vgl. zur Meditationsform der exercitia Butzer 2001, 1020. Die Zitate der Paragraphen folgen der
Ausgabe von Calveras/Dalmases 1969.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322