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664 Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773)
Gattungs-
geschichte Einfühlen in ein geistliches Thema als um die Erzeugung eines Spannungsbogens
und die Entwicklung von Charakteren. Die Bibel spielt als Stoff- und Sprachquelle
eine herausragende Rolle. Die oft zahlreichen Zitate daraus sind meist in irgend-
einer Form gekennzeichnet (z.B. durch Kursivierung oder durch Stellennachweise
in Fußnoten). Der Dialog steht in Prosa, besonders hervorgehobene musikalische
Partien oft in akzentrhythmischen, gereimten Versen. Der Stil ist i.A. schlicht, der
literarische Anspruch bewusst reduziert : Der Ernst der Botschaft soll möglichst
geradlinig zur Geltung kommen.
Solche Meditationsdramen tauchen erstmals in den 40er-Jahren des 17. Jhs. auf
und lassen sich auf den Einfluss bestimmter Autoren zurückführen. Allen voran
geht Johannes Paullin, dessen 1643 in München erstmals aufgeführtes geistliches
Oratorium Philothea eine der größten Erfolgsgeschichten der Jesuitenbühne ist (vgl.
Münch-Kienast 2000). Das Stück wurde bis zur Aufhebung des Ordens in fast allen
jesuitischen Spielorten aufgeführt, so auch insgesamt viermal in Innsbruck (1654,
1686, 1715 und 1748) sowie einmal in Hall (1660). Zeitgleich mit Paullin initiierte
Andreas Brunner4 (1589–1650) in der Innsbrucker Jesuiten kirche seine deutsch-
sprachigen Dramata sacra, die er bis zu seinem Tod 1650 unter großem Zustrom
der Bevölkerung fortführte. Bezeichnenderweise wurden sowohl die Philothea als
auch die Dramata sacra in der Fastenzeit gespielt, die sich für die aszetische Hal-
tung dieser Meditationen besonders eignete. Diese Beispiele machten Schule : Einer
vergleichbaren Poetik folgten in Tirol und vielen anderen jesuitischen Spielorten
seit der zweiten Hälfte des 17. Jhs. zahlreiche meditative Dramen, wobei die lat.
Sprache und die große Rolle der Musik mehr auf die Wirkung Paullins als auf jene
Brunners verweisen. Die meditative Linie des Jesuitendramas wurde in der zweiten
Hälfte des 17. Jhs. mehr und mehr von den marianischen Kongregationen über-
nommen und zumindest in Innsbruck seit dem frühen 18. Jh. zu ihrer typischen
Spielform. Sie erfreute sich im ganzen 18. Jh. größter Beliebtheit und überlebte das
Ende der lat. Schulschlussdramen in Österreich 1763/64 (s.u.) ebenso wie die Auf-
hebung des Jesuitenordens 1773 (von der die marianischen Kongregationen nicht
direkt betroffen waren) um mehrere Jahrzehnte.5 Der große Erfolg der Meditations-
dramen in dieser Zeit ist vielleicht auch ein Reflex der Tiroler Volksmission (Gelmi
4 Der gebürtige Haller hat in Bayern Karriere gemacht und ist v.a. als Hofhistoriograph von Herzog
Maximilian I. bekannt. Seinen Lebensabend verbrachte er als Prediger in Innsbruck ; vgl. zu ihm
Dünninger 1967, 111–123 ; Valentin 2, 1033 ; Killy 2, 262. Eine Auswahl von Brunners Passions-
spielen wurde 1684 in Salzburg unter dem Titel Dramata sacra („Heilige Dramen“) gedruckt (Ndr.
mit Einleitung, Valentin, 1986).
5 Die nach 1773 noch geschriebenen Meditationsspiele bringen aber keine entscheidenden Innova-
tionen und rechtfertigen kein eigenes Kapitel zum lat. Theater in Tirol nach der Aufhebung des
Jesuitenordens.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322