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670 Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773)
Ende sakral-
geschichtlicher
Stoffe wir auch unversehens aus der christlichen Heilsgeschichte in die Antike gerutscht.
Der Übergang scheint sich genau auf die erfolgreiche Verteidigung Wiens 1683
datieren zu lassen, ein Ereignis, das auch in den anderen Tiroler Spielorten unge-
wöhnliche Produktionen motivierte. Von den in diesem Jahr aufgeführten Stücken
in Hall und Trient haben wir nur den Titel bzw. eine Umschreibung des Inhalts,
doch schon daraus lässt sich ein Bruch mit den bisherigen Stoffen vermuten. In
Hall wurde eine offenbar zeitgeschichtliche Obsessa Vienna („Belagertes Wien“ ;
BHStA, Jes. 114, 76) gespielt, und in Trient kamen alte (oder sogar antike ?) Hel-
den auf die Bühne, um dem christlichen Abendland Schützenhilfe zu geben : An-
tiqui heroes evocati in lucem ad ferendum Christianae reipublicae auxilium („Alte/
antike Helden, die ans Licht gerufen wurden, um das christliche Gemeinwesen zu
unterstützen“ ; BHStA, Jes. 114 [keine Seitenangabe bei De Finis 1983–1984]). In
dem in Innsbruck 1684 aufgeführten Jason – von dem wir die Perioche erhalten
haben – wird Karl als neuer und besserer Jason vorgeführt, der sich – ähnlich wie
einst sein Vorgänger das Goldene Vlies – von den Barbaren die Schlüssel zum
Königreich Ungarn zurückerobert. Oder wie die Perioche den Prolog zusammen-
fasst : Certant Austria et Graecia de fortiore Jasone : vincit Austria („Österreich und
Griechenland liegen im Wettstreit um den stärkeren Jason : Österreich siegt.“) Wie
von diesem Wettkampf mit der Antike angeregt, wurde im nächsten Jahr erstmals
in der Geschichte des Innsbrucker Jesuitendramas ein rein antikes Sujet auf die
Bühne gebracht : die Jugend Hannibals als Muster kriegerischen Heldenmuts. Der
Schritt in die Antike ist damit gemacht, aber das Paradigma ist noch nicht die klas-
sische Antike Roms und Griechenlands. Im Hannibal-Drama sind die Römer die
Bösen, im Jason dient der griechische Held lediglich als Kontrastfigur zum neuen
Jason Karl von Lothringen.
Anders als in Hall und Trient versiegen in Innsbruck die der Sakralgeschichte ent-
nommenen Stoffe ab einem gewissen Zeitpunkt völlig. Soweit aus einem für diese
Zeit ziemlich lückenlos dokumentierten Spielplan ersichtlich, ist der Apostel Jakob
als Patron der Stadt Innsbruck (1724) der letzte Protagonist der Sakralgeschichte,
der die Innsbrucker Bühne betritt. Damit scheint Innsbruck einen gewissen Sonder-
fall im Vergleich mit der Entwicklung des Jesuitendramas im gesamten deutschen
Sprachraum darzustellen. Ein Rückgang des sakralgeschichtlichen Paradigmas ist
zumindest der Tendenz nach an vielen Spielorten zu beobachten und auch an der
Periodisierung des oberdeutschen Jesuitendramas ablesbar, die Elida Maria Szarota
vorgenommen hat.10 Eine doch ausgedehnte Spätzeit von 40 Jahren ohne einen ein-
bals Kindheit, die seine Feinde schreckt“ ; 1685 ; Valentin 1, Nr. 2771). Im Jahr 1683 gab es wegen
Erdbeben keine Aufführung, vgl. den Bericht der Litterae annuae (BHStA, Jes. 114, 71).
10 Szarota 1974 ; vgl. auch das geringfügig veränderte Schema in Szarota 1979–1987, Bd. 1,1, 57–89.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322