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672 Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773)
Anton Claus (TLMF, FB 572/33). In diesem Stück werden die Geschehnisse auf Ithaka nach
der Rückkehr des Odysseus dramatisiert, wobei allerdings nicht Odysseus, sondern
Penelope und ihre Standhaftigkeit gegenüber den Avancen der Freier im Zentrum
stehen. Das auf die Tötung der Freier folgende vermeintliche Happy End wird da-
durch zerstört, dass Odysseus, wie aus dem epischen Kyklos bekannt, versehentlich
von seinem mit Kirke gezeugten Sohn Telegonos umgebracht wird – oder vielmehr :
Die göttliche Vorsehung bestraft Odysseus auf diese Weise für seinen mit Kirke
begangenen Ehebruch. Statt Abenteuern und homerischem Edelmut konfrontiert
das Jesuitenstück den Zuschauer mit einer bürgerlichen Ehelehre. Die göttliche
Herkunft der strafenden Gerechtigkeit wird zwar betont, aber auf den christlichen
Gott deutet dabei wenig hin. In einer im Prolog und den akttrennenden Chören
geführten Parallelhandlung beraten die olympischen Götter über Odysseus’ Schick-
sal, der am Ende ordinantibus superis („durch den Beschluss der Götter“, in der
Mehrzahl) umkommt.
Die Stücke, die Anton Claus von 1732 bis 1734 in Innsbruck inszenierte, ver-
dienen besonderes Interesse, einerseits wegen ihrer herausragenden individuellen
Qualität, andererseits wegen ihrer Repräsentativität für eine Reihe von Tenden-
zen des Innsbrucker Jesuitendramas des 18. Jhs. Als Claus 1730 nach Innsbruck
kam, war er bereits ein versierter und vielgewanderter Lehrer und Dramenschreiber
(vgl. Valentin 1972c, 179–184 ; Valentin 2, 1036–1037), der seinem großen Vor-
bild Corneille nacheiferte. Sowohl in der Vorrede zu der 1741 in Augsburg und
1753 in Würzburg gedruckten Sammlung seiner Dramen mit dem Titel Tragoediae
ludis autumnalibus datae („Tragödien zu den Herbstspielen“)12 als auch in den An-
merkungen zu diesen setzt sich Claus mit dem französischen Vorbild auseinander.
Mit seiner poetologischen Innovation hatte er beachtlichen Erfolg : Der letzten Ge-
neration von jesuitischen Dichtungstheoretikern gilt er als moderner Meister der
Tragödie und als lat. Pendant zu Gottsched.13 Bemerkenswert ist nicht nur, dass
seine Dramen überhaupt gedruckt (was im Fall des Jesuitendramas ja selten genug
ist), sondern dass sie noch 1776 in gleich zwei Editionen ins Deutsche übersetzt
wurden.14 Claus’ Innsbrucker Dramen sind : Stilico, oder : Unbesonnene Liebe der
12 Im Folgenden wird nach der Ausgabe von 1753 zitiert.
13 Vgl. etwa Franz Neumayrs Idea Poeseos („Idee der Dichtkunst“ ; Ingolstadt 1751) : Princeps habetur
Cornelius senior et iunior, quibus proxime accedit […] Gottschedus et Clausius, ille Germanus, hic
Latinus. (173 ; „Den ersten Rang nehmen der ältere und jüngere Corneille ein. Gleich hinter diesen
kommen […] Gottsched und Claus, jener im Deutschen, dieser im Lat.“).
14 P. Antons Claus Trauerspiele, nebst seinen kritischen Anmerkungen über dieselben, Augsburg 1776
(enthält Scipio [nicht in Innsbruck aufgeführt], Stilico, Themistocles, Protasius) ; Die Trauerspiele des
Klaus, Amberg 1776 (enthält Themistocles und Stilico). Valentin 1972c, 179 Anm. 31 führt außer-
dem eine polnische Übersetzung an, die nicht verifiziert werden konnte : Try tragedye, Vilnius 1751.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322