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Theologie und kirchliches Schrifttum 815
Wesen Gottes
Prädestination
Franck, Manuale
gumenten für die Existenz Gottes, die Grustner als „moralisch“ bezeichnet (24–62),
ist nicht spezifisch christlich, sondern entspringt vielmehr aufgeklärtem Denken :
Grustner beruft sich beispielsweise auf ein natürliches Bedürfnis aller Völker nach
einer Gottheit und auf durch diese verbürgte soziale Regeln, die Gerechtigkeit und
Sicherheit ermöglichten. „Physische“ Argumente gegen den Atheismus (62–103)
entnimmt er dagegen v.a. zahlreichen Bibelstellen über die Herrlichkeit der Natur,
welche auf Gott als ihren Schöpfer (oder, wie Grustner oft sagt, „Architekten“)
schließen lasse. Diese Passagen machen die Arbeit zu einem aussagekräftigen Zeug-
nis der sogenannten Physikotheologie, einer im 16. Jh. geprägten Weltanschauung,
welche die Wunder der Natur als Gottesbeweis betrachtete und auch in Innsbruck
rezipiert wurde (Falkner 1969, 68–70). Erst an dritter Stelle folgen im eigentlichen
Sinne christliche Gottesbeweise (104–210).
Der zweite Teil der Arbeit gilt dem Wesen Gottes. Grustners Versuch, dieses zu
umschreiben (211–234), erinnert an Descartes : Gott sei etwas, quo nihil melius co-
gitari potest (220 ; „womit verglichen nichts Besseres gedacht werden kann“). Diese
Charakterisierung wird durch Eigenschaften wie Gerechtigkeit, Weisheit, Güte,
Liebe, Heiligkeit, Allmacht und Wahrhaftigkeit spezifiziert. Dass der christliche
Monotheismus, der Grustner sehr wichtig ist, der Wahrheit entspricht, belegen
Beispiele aus Literatur und bildender Kunst. Des Weiteren wird eine Analogie zwi-
schen Gottes Alleinherrschaft und der monarchischen Verfassung hergestellt, die
sich in Europa sehr bewähre. Ex negativo begründet Grustner die Überlegenheit des
Monotheismus mit den bekannten Missständen im antiken Pantheon (234–260).
Die nach Grustner wichtigste Eigenschaft Gottes überhaupt ist seine providentia
(„Vorsehung“). Grustners diesbezügliche Ausführungen (261–293) sind interessant
als Beitrag zum Thema Prädestination (vgl. hier S. 530), mit dem er sich in eine
lange Traditionskette einordnet. Im Rückgriff auf antike Philosophen wie Seneca
und Kirchenväter wie Augustinus skizziert er einen vernünftigen Heilsplan Gottes,
in dem Gut und Böse komplementäre Größen sind. Den bereits von Lodovico Bo-
roi (s. hier S. 530–531) vertretenen Standpunkt fasst er in diesem Zusammenhang
in die Worte : omnis malus aut ideo vivit, ut corrigatur, aut ideo vivit, ut per illum
bonus exerceatur (280 ; „jeder Schlechte lebt entweder, damit er sich bessert, oder
damit ein Guter durch ihn [in der Tugend] geübt wird“). Des Weiteren bedeute
das Unglück, das einem Einzelnen zustoße, nichts gegen den Segen, den das be-
treffende Ereignis vielen anderen bringen könne. Dass Chancen und Vorteile unter
den Menschen ungleich verteilt seien, verleihe ihrem Zusammenleben eine höhere
Qualität, indem es zu einer Weiterentwicklung der Künste, Wissenschaften und
sozialen Beziehungen beitrage.
Der zweite Defendent der Innocentia, Cajetan Franck, geboren 1689 in Inns-
bruck, trat 1707 in Wilten ein und lehrte dort später Philosophie und Theolo-
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322