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Philosophie und Naturwissenschaft 837
ein großer Teil der Dissertationen bleibt in den vom Lektürekanon vorgegebenen
Bahnen, doch erweist sich das Genre als flexibel. Nicht jeder ist so eigenwillig wie
Gaspare Savoy (1730–1785), der am Ende unserer Epoche im Gymnasium von Tri-
ent für die Existenz von Außerirdischen argumentiert und die Zweckmäßigkeit des
Läutens von Kirchenglocken bei Gewittern erörtert.4 Doch finden sich im Main-
stream neben Schriften zur allgemeinen Philosophie nach Aristoteles und zu spezi-
ellen Problemen daraus auch etwa Dissertationen zur Nützlichkeit der Philosophie,
zur neueren Philosophiegeschichte oder zur Methodenlehre. Die Themen der phi-
losophischen Dissertationen sind grundsätzlich nicht so sehr von den Erfordernis-
sen des Unterrichts als von den persönlichen Interessen der Professoren bestimmt.
Im Regelfall waren die Dissertationen der damaligen Zeit ja Werke der Professoren
und stellten für ihre ‚Publikationsliste‘ das dar, was heute Aufsätze, Buchkapitel und
Monographien sind. Die in der mündlichen Disputation diskutierten Thesen, aus
denen das Genre ursprünglich entstand, greifen zwar tatsächlich den im Unterricht
durchgenommenen Stoff auf ; diese Thesen waren aber eben nur mehr der druck-
technische Anlass für eine oft ganz anders geartete Untersuchung – was sich u.a.
darin äußert, dass die Thesen nun gewöhnlich in einen Anhang verbannt werden.
Von daher ist es gut verständlich, dass die Dissertationen mehr den Stempel ihrer
Autoren als des Unterrichtsprogramms trugen. Dazu kam mit der (verspäteten)5
Rezeption der modernen Naturwissenschaften im Verlauf des 18. Jhs. noch eine
allgemeine Umwälzung der Interessen und Themen. Der rein aristotelische Ho-
rizont der Ratio studiorum, die seit ihrem Inkrafttreten 1599 keine Erneuerung
mehr erlebte, wurde in der Praxis mit der Zeit schlichtweg obsolet. In den letzten
drei Jahrzehnten unserer Epoche, in denen das aufklärerische Nützlichkeitsdenken
sich immer lauter zu Wort meldet, finden wir deshalb philosophische Dissertatio-
nen zu Themen wie der Elektrizität, der physikalischen Statik nach Newton, dem
Pflanzenbau oder dem Ingenieurswesen. Diese neuen Interessen, die schließlich zur
Sprengung des klassisch-aristotelischen Philosophiekurses und zur wissenschaftli-
chen Ausdifferenzierung der philosophischen Fakultät führen werden, bahnen sich
noch vor der Aufhebung des Jesuitenordens an, weshalb es zu einfach wäre, mit die-
ser eine wissenschaftsgeschichtliche Zäsur anzusetzen. Der Aufhebung des Ordens
folgte aber eine Reihe von tief greifenden Universitätsreformen, die den inhaltlich
4 Dissertatio philosophica de planeticolis („Philosophische Dissertation über die Planetenbewohner“ ;
Trient 1770 ; vgl. dazu Callegari 1907 ; zur Autorenfrage dell’Antonio 1920) ; Dissertatio philoso-
phica de usu et efficacia campanarum adversum tempestates („Philosophische Dissertation über den
Gebrauch und den Nutzen von Kirchenglocken gegen Unwetter“ ; Trient 1772).
5 Um nur ein Beispiel zu geben : Newtons Philosophiae naturalis principia mathematica („Die mathe-
matischen Prinzipien der Naturphilosophie“), dessen Grundsätze erst ab der Mitte des 18. Jhs. in
den Innsbrucker philosophischen Dissertationen intensiv rezipiert werden, erschien bereits 1687.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322