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Philosophie und Naturwissenschaft 841
sität gedankt wird. Die Respondenten geben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass nach der nun
erfolgten Einrichtung der philosophischen Fakultät bald auch die übrigen Wissenschaften
an der Universität blühen werden. Einstweilen möge der Kanzler aber für seine Sorge um
die Philosophie mit dieser Disputation ein kleines philosophisches Geschenk akzeptieren.
Es gehe darin um Erdbeben, „weil diese hier durch die Furcht aller Leute und die Erzäh-
lungen von den vorgefallenen Ereignissen zu einem großen Gesprächsthema geworden
sind“ (quoniam iam omnium metu et praeteritorum narrationibus hic sermo increbuit). Am
Ende hätten sie noch ein paar Thesen über die Seele hinzugefügt, um das Material für die
(mündliche) Disputation zu vermehren. Es wird gar nicht der Versuch gemacht, einen
Zusammenhang zwischen diesen Thesen und dem Hauptteil der Dissertation herzustellen.
Eine kurze Vorrede knüpft an den Anlass an. Es sei süß, über vergangenes Unglück zu
erzählen. Die Ereignisse selbst waren allerdings düster. Die Häuser in Hall sind wie Schiffe
in einem Seesturm untergegangen. Da nun aber – hoffentlich – das Schlimmste vorbei ist,
ist eine gelehrte Unterhaltung darüber möglich. Die Ursachen für Erdbeben sind freilich
dunkel, deshalb kann hier nur Wahrscheinlichkeit und Plausibilität angestrebt werden.
Der Hauptteil besteht – wie häufig in philosophischen Dissertationen – aus einer Reihe
von separaten, mit Paragraphen durchnummerierten Fragestellungen (quaestiones), die
jeweils einen Aspekt des Themas behandeln. Die Frage in § I lautet : Qualesnam fuerint
terraemotus nostri ? („Von welcher Art waren unsere Erdbeben ?“) Mit Aristoteles werden
zwei grundsätzliche Arten von Erschütterungen unterschieden, der tremor (waagrecht ver-
laufende Erschütterung) und der pulsus (senkrecht verlaufende Erschütterung). In Hall
sei beides vorgekommen : Das Hauptbeben vom 17. Juli war mehr ein tremor, ein starkes
Nachbeben vom 22. November mehr ein pulsus. A qua parte terraemotus provenerint ? („Wo-
her sind die Erdbeben gekommen ?“ ; § II) : Grundsätzlich ist beobachtet worden, dass
tremores sich von Ost nach West und pulsus von Nord nach Süd ausbreiten. Der Haller
tremor hat sich ebenfalls von Ost nach West fortgepflanzt, was jeder bemerkt haben muss,
der in den Wirren klaren Kopf behielt. Quaenam fuerit praedictorum terraemotuum sedes ?
(„Wo ist der Sitz der besagten Erdbeben gewesen ?“ ; § III) : Wahrscheinlich etwas östlich
von Hall, denn dort richtete es einzigartige Naturschäden an : Quellen wurden geschla-
gen oder verstopft, Felsen gespalten u.Ä. Dass es in dieser Gegend unterirdisch gärt, kann
auch aus dem heißen Solevorkommen bei Hall geschlossen werden. Unterirdisch wehende
heiße Winde sind nämlich die wahrscheinlichste Ursache von Erdbeben. Quaenam fuerit
nostrorum terraemotuum causa ? („Was war die Ursache unserer Erdbeben ?“ ; § IV) : Wie
schon Aristoteles sagt, sind Winde (spiritus) der Grund für Erdbeben. Sie können sich ent-
weder unterirdisch entzünden oder einfach wehen. Man sieht ja, welche Gewalt Feuer und
Wind oberirdisch haben. An causa nostrorum terraemotuum fuerint igniti spiritus ? („Waren
entzündete Winde die Ursache unserer Erdbeben ?“ ; § V) : Kaum, denn das Beben hat
sich weit ausgebreitet. Entzündete Winde müssten überall durch feurige Materie gespeist
werden. Es ist aber unwahrscheinlich, dass sich auf so großem Raum überall feurige Ma-
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322