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868 Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773)
Hydroenobibus
Entscheidung
Charakteristik
Madlener,
De usu et abusu
potus Caffé Hydroenobibus ist, als er das Wort ergreifen soll, zunächst deprimiert und will
dem Gegner das Feld kampflos überlassen, weil er sich von dessen Angriffen und
Verleumdungen beleidigt fühlt. Dann jedoch besinnt er sich eines Besseren und
beginnt mit einer Replik, deren Argumentation insgesamt logischer und schlüssiger
wirkt, wenngleich auch sie nicht frei von Pauschalierungen ist (57) :
Sunt nempe meraciorum potatores rude inprimis et agreste hominum genus, ut crassi rusticorum
trunci, olidi porcarii, bubulci, stabularii, quibus proximi […] baiuli, operarii, fossores, clitel-
larii, aurigae, agasones, nautae, vilioris operis artifices et verbo quivis obscurorum hominum
coetus, quorum Deus venter est et templum popina.
Die Trinker ungemischten Weins sind freilich ein in erster Linie ungeschlachtes und bäuer-
liches Volk ; zu ihnen gehören die dicken Bauerntölpel, die stinkenden Schweinehirten, die
Ochsenknechte, die Stallknechte und solche, die diesen wesensverwandt sind […] wie die
Lastenträger, die Arbeiter, die Totengräber, die Träger, die Fuhrleute, Eseltreiber, Matrosen,
kunstloseren Handwerker, mit einem Wort : das ganze Pack gemeiner Menschen, deren
Gott ihr Bauch und deren Kirche die Kneipe ist.
Am Ende wird der Streit recht unspektakulär entschieden : Ein nicht näher beschrie-
bener Arzt namens Hygiophilus („Gesundheitsfreund“) aus Verona dekretiert, dass
man Wein verdünnen müsse (70–104). Seine Entscheidung begründet er, indem
er jedem der zwölf Argumente des Merophilus gesondert widerspricht. Auch dabei
fehlt es nicht an haarsträubenden Erklärungen. So spricht sich Hygiophilus etwa
für die Mischung von Wein und Wasser aus, weil aus der Seite Jesu auch Wasser
und Wein geflossen seien. Dies könne nur dadurch erklärt werden, dass der Heiland
selbst Wein mit Wasser gestreckt habe (84).
Beide Kontrahenten argumentieren zwar grundsätzlich auf der Basis der anti-
ken Humoral- und Temperamentenlehre (wobei sich Hydroenobibus genauer an
Galen hält), belegen ihre Aussage jedoch großteils über Zitate aus der Bibel, der
(vornehmlich antiken) Poesie sowie vereinzelt auch aus dem Volksmund. Von der
scharfen und bisweilen durchaus geistreichen Polemik, von der die beiden Aus-
gangswerke von Matthäus Clauß und Hippolytus Guarinonius geprägt sind (vgl.
hier S. 570–571), ist im Conflictus nur mehr wenig zu spüren. Insgesamt kann das
Werk seinen Vorgängern weder inhaltlich noch stilistisch das Wasser reichen.
Ein Beispiel für die Rezeption der medizinisch aktuellen Diskussion über die
Vor- und Nachteile der neuen Getränke Kaffee, Tee und Kakao ist das Specimen
inaugurale medicum de usu et abusu potus caffé („Medizinische Antrittsprobe über
die Verwendung und den Missbrauch von Kaffee“ ; Innsbruck 1772 ; vgl. Abb. 141)
des Johann Michael Madlener. Über das Leben und Wirken des Verfassers ist nicht
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322