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Rechtswissenschaft 895
Charakteristik
in Innsbruck seine Quaestiones canonico-civiles de natalium defectu („Kirchen- und
zivilrechtliche Fragen zum Geburtsmakel“) drucken.
Thema der 128 Seiten umfassenden Abhandlung sind legitime und illegitime Kinder und
ihr rechtlicher Status. In der ersten von vier quaestiones („Fragen“) werden sie in legitimi
(eheliche), naturales (Bastarde, natĂĽrliche Kinder) und spurii (Schlaf- oder Hurenkinder)
eingeteilt. Spurii – der schlimmste Fall – sind Kinder aus einer kirchenrechtlich nicht ein-
mal ehefähigen Verbindung. Dabei differenziert die Rechtsprechung und mit ihr Ober-
mayr noch einmal zwischen spurii simpliciter (Hurenkinder, d.h. solche, deren Vater nicht
feststeht) und spurii ex damnato coitu (Ehebruchs- und Blutschandekinder). In der Folge
befasst sich Obermayr zunächst mit dem rechtlichen Status von Kindern aus gültigen
Ehen, dann mit demjenigen von Kindern aus Putativehen, klandestinen Ehen, Präsump-
tivheiraten, Konkubinaten und Vergewaltigungen. Zum Schluss geht es nochmals um das
Konkubinat, die von der Kirche abgelehnte, offene, langfristige Beziehung zwischen einem
Mann und einer Frau. Die zweite quaestio widmet sich den Rechtsvermutungen (praesump-
tiones) bei Zweifelsfällen : Bei Kenntnis der Mutter vermutete man Legitimität, ebenso bei
ausgesetzten Kindern. Generell wurde im Zweifel nach dem Prinzip des favor (rechtliche
BegĂĽnstigung) der fĂĽr das Kind vorteilhaftere Fall angenommen. Ausgesprochen pragma-
tisch beantwortet Obermayr dabei die Frage, ob eine ehebrecherische Mutter ihrem Mann
oder ihren Kindern den Ehebruch beichten muss : Er plädiert für Schweigen, da der Scha-
den eines Geständnisses größer wäre als sein Nutzen. Die dritte quaestio behandelt die Be-
weisregeln bei Erbschafts-, Abstammungs- und Eheprozessen. Zuständig war grundsätzlich
der kirchliche Richter, bei reinen Sachfragen konnte aber auch ein Laie entscheiden. Die
Beweislast lag stets bei demjenigen, der die Legitimität bestritt. Die vierte quaestio befasst
sich mit dem Ausschluss illegitimer Kinder von kirchlichen Rechten : Sie konnten, wenn
sie nicht – was recht häufig geschah – durch den Bischof einen Dispens erhielten, kein
kirchliches Amt antreten und waren vom Genuss kirchlicher beneficia („Pfründen“) und
pensiones („Renten“) ausgeschlossen. Dagegen konnten sie kirchliche Emphyteusen und
Lehen in Besitz nehmen, vermutlich weil es sich auch im weltlichen Recht entsprechend
verhielt ; auch die Nachfolge in das ius patronatus („Patronatsrecht“) über eine Kirche war
erlaubt.
Das Buch ist v.a. deshalb bemerkenswert, weil die Kirche bei aus ihrer Sicht ver-
werflichen Verbindungen sonst meist eine eher kinderfeindliche Rechtsauffassung
vertrat. Obermayr hingegen gibt im Zweifel der kinderfreundlicheren Alternative
den Vorzug und setzt auf pragmatische Lösungen. Auch bei der Verurteilung illegi-
timer Verbindungen hält er sich zurück. Des Weiteren versteht er es ausgezeichnet,
dem Leser seine Ansichten verständlich zu machen, indem er die Rechtslage klar
darstellt und sein Werk ĂĽbersichtlich gliedert.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322