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Biographisches Schrifttum 987
biblische Sprache
Cagliostro selbst und der in sich gespaltenen Stimme des Volkes. Mehrfach bekennt
er sich ausdrücklich zu dieser Neutralität : In § XII verwahrt er sich gegen den Vor-
wurf der Ironie, der ihm offenbar den Zorn mancher Mitbürger zugezogen hat. In §
XIII berichtet er, wie er einem Bekannten, der ihn nach seiner Meinung fragt, ant-
wortet : Non est meum iudicare hominem, de quo tot iudicia sunt, quot homines, et non
sunt duo, qui consentiant in idem. („Es ist nicht meine Sache, über einen Menschen
zu urteilen, über den es so viele Urteile gibt wie Menschen und dabei nicht zwei,
die miteinander übereinstimmen.“) In Anlehnung an Tacitus’ berühmten Grundsatz
sine ira et studio (ann. 1,1,3 ; „ohne Zorn und Gunst“) will er selbst sine odio et amore
(„ohne Hass und Liebe“) geschrieben haben (§ XV, zugleich Motto zu Beginn).
Noch der Schlusssatz, den er „vernünftigen, gescheiten Menschen“ aus Rovereto in
den Mund legt, unterstreicht diese Haltung : Ambiguitates magnae et contradictiones
multae ; vere aenigma est iste, de quo non licet iudicare, donec finis eius revelaverit
eum. („Groß ist die Unsicherheit und zahlreich die Widersprüche : Er ist wahrlich
ein Rätsel, und man darf über ihn nicht urteilen, bis sein Ende ihn enthüllt hat.“)
Schließlich ist noch hervorzuheben, dass Vannetti an den wenigen Stellen, wo er
selbst auftritt, von sich in der 3. Person spricht – ein spätestens seit Caesars Bellum
Gallicum wohlbekannter Kunstgriff, um Objektivität zu suggerieren.
Das zweite auffällige Charakteristikum des Liber memorialis ist seine biblische
Sprache. Der Text erinnert schon auf den ersten Blick an die Vulgata, indem er
einige ihrer auffälligsten grammatischen und stilistischen Merkmale kopiert, z.B.
den Satzbeginn mit Et, den Ersatz des AcI durch einen quod-Satz, die Einleitung
direkter Rede mit quia und den finalen Infinitiv. Vokabular und Idiomatik tun ein
Übriges. Ein Beispiel vom Beginn des § XII mag den resultierenden Effekt veran-
schaulichen :
Et in una dierum interrogavit quendam, si vellet et ipse coniungi cum iis, qui dicuntur Illumi-
nati. Et homo ille negavit dicens, quia malo manere in his tenebris exiguum videns, quam in
tali lumine fiere plane caecus. Et alios sermones dicebat plenos sale. Quidam autem audientes
haec loquebantur invicem : Hic de Synedrio est fratrum muralium (quod interpretatum est
liberorum structorum) et fortasse ab iis missus est curare infirmos, qui sunt in mundo, et de
arca et gazophylacio sectae eorum largitur. Dicunt enim quod primum praeceptum habent
benefacere omnibus.
Und an einem der Tage fragte er [Cagliostro] jemanden, ob er sich auch selbst denen an-
schließen wolle, die Illuminaten genannt werden. Und jener Mensch lehnte ab, indem er
sagte : „Ich möchte lieber in meiner jetzigen Finsternis bleiben und ein klein wenig sehen,
als in einem solchen Licht ganz blind werden.“ Und er gab noch andere Aussprüche voller
Witz von sich. Gewisse Leute aber, die das hörten, sprachen zueinander : „Dieser ist von
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322