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1010 Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848
Gegner der
Aufklärung ;
Indizierung Darlegung der Moraltheologie, die er zur höchsten und umfassendsten Wissen-
schaft erklärt und selbst über die Dogmatik stellt. Er baut sie auf dem Prinzip der
Gerechtigkeit auf und erkennt in allen Sittengeboten eine rechtliche Pflicht. Auf
diese fĂĽhrt er auch die Kardinaltugenden zurĂĽck, wobei die Gerechtigkeit mit der
Liebe, der für ihn wichtigsten theologischen Tugend, zusammenfällt, die in vollen-
deter Form jedoch nur von Gott verkörpert wird. Mit seiner absoluten Theozentrik
steht Oberrauch in der scotistischen Tradition seines Ordens : Dem Voluntarismus
des Duns Scotus, der Vorschriften aus der willkĂĽrlichen Setzung Gottes ableitet,
entspricht die Ăśberzeugung, Gott zu lieben, bedeute zu tun, was er wolle und weil
er es wolle. Die Vernunft, so Oberrauch, vermittle dem Menschen die Erkenntnis
der göttlichen Gesetze, die Gnade verleihe ihm den Antrieb, sie zu befolgen, durch
die Willensfreiheit erhalte er die Möglichkeit einer Entscheidung. Gleichzeitig ist
Oberrauch auch dem Denken des Augustinus verpflichtet. Neu an seinem System
ist die Gleichsetzung der Moral, die er in positiver Form, nicht als Kasuistik lehrt,
mit jener spirituell geprägten Reflexion über christliche Vollkommenheit, die da-
mals als Aszetik bezeichnet wurde (LThK 1, 1120). In seinem Sohn habe Gott dem
Menschen nach dem SĂĽndenfall eine weitere Chance gegeben, diese Vollkommen-
heit zu erreichen. Hiernach mĂĽsse der Mensch aus Liebe zu Jesus auch gegen den
Widerstand seiner eigenen Natur streben. Es sei seine Pflicht, sein Leben durch be-
dingungslosen Gehorsam Gott zu weihen ; was ihn ans Leben binde und am Gehor-
sam hindere, müsse er abstreifen (Coreth 1947, 27–32 ; Brandl 1969, 128). Dabei
helfe ihm insbesondere das Gebet, dem nicht zufällig eines der längsten Kapitel der
Institutiones gewidmet wird (Bd. 2, Kap. 7). Allerdings äußert sich Oberrauch trotz
seiner Betonung des Vollkommenheitsgedankens mitunter auch auf eine Weise, die
ihm von jansenistischer Seite den Vorwurf des Laxismus einbrachte. Restlos schlĂĽs-
sig erscheint sein Denken deshalb nicht (Kleber 1982, 181–188 ; Coreth 1995,
27–29).
Wiewohl die Vernunft als FĂĽhrerin zum Glauben bei Oberrauch eine wichtige
Rolle spielt, lehnt er ihre schrankenlose Herrschaft ab : Gerade wo die Vernunft
sich irre, sei die Offenbarung vonnöten. Auch den naturgesetzlichen Vorstellungen
der Aufklärung und ihrer anthropozentrischen Didaktik vermag er nichts abzuge-
winnen. Kant ist in seinen Augen ein kurzlebiger Modephilosoph, dem er Selbst-
anbetung des Menschen vorwirft ; den kategorischen Imperativ lässt er nur für die
Beziehungen der Menschen untereinander, nicht aber für ihr Verhältnis zu Gott
gelten. Kein Wunder, dass das Werk von aufklärerischen Kreisen heftig angegriffen
und 1776 von der Wiener Zensur indiziert wurde.8
8 Amort 1967, 11–22, 31–33, 47–49, 60–67, 71–81 ; Brandl 1969, 118–125 ; Kleber 1982, 34–48,
52–67, 71–108, 125–127, 175–179 ; Coreth 1995, 27–29.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322