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1040 Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848
gegen die
modernen
„Sophisten“ schiedenen Apotheosen des Menschen im gegenwärtigen Zeitalter geebnet wor-
den. Lechleitners Kritik bezieht sich auf Kants Rede vom Menschen als „Zweck
an sich selbst“, im Gegensatz freilich nicht zu Gott, sondern zu seiner Instrumen-
talisierung „als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen“
(vgl. Grundlegung der Metaphysik der Sitten, zweiter Abschnitt). Diese Definition
ermöglichte Kant eine klare Unterscheidung zwischen Personen und Sachen und
gilt heute meist als ein Meilenstein in der philosophisch-juristischen Bestimmung
von Menschenwürde und Menschenrecht. Lechleitner war aber nicht der einzige
konservativ-christliche Denker, dem die Vorstellung einer Selbstzweckhaftigkeit des
Menschen atheistisch erschien.11
Weitere programmatische Frontstellungen gegen die neue deutsche Philosophie
finden sich in den Vorreden zu den Bänden der Philosophia theoretica. Dort werden
Kant und die Proponenten des deutschen Idealismus zwar nicht namentlich er-
wähnt, aber deutlich genug als „Sophisten“ (sophistae) angesprochen, die mit ihren
Lehren klare Begriffe verwirren. Besonders scharf äußert sich Lechleitner in der
Vorrede zum dritten Band der Philosophia theoretica von 1825, in dem er die „So-
phisten“ beschuldigt, die Kriegsverwüstungen der Epoche – gemeint sind höchst-
wahrscheinlich die napoleonischen Kriege – mitverursacht und mit ihren neuen
Lehren die Jugend verdorben zu haben. Denn diese Lehren besagten,
nullam veritatem esse nisi subiectivam, i.e. fictitiam, nullam dari iustitiam nisi ab hominum
arbitrio dependentem atque oriundam, nullam denique religionem, quam non ipsi plebis in-
facetae ergo finxissent.
dass es keine Wahrheit außer einer subjektiven, d.h. erfundenen, gibt, keine Gerechtig-
keit außer einer von menschlicher Willkür abhängenden und herkommenden, schließlich
auch keine Religion, die nicht die Menschen selbst um des abgeschmackten Pöbels willen
erdichtet hätten.
Gelegentliche Seitenhiebe auf die „Sophisten“ finden sich auch im laufenden Text
(vgl. z.B. Philosophia theoretica, Bd. 3, § 54, eine Stelle, die an den oben zitierten
§ 53 anschließt und in der Lechleitner seinem Schüler verspricht, er werde durch
das gründliche Studium der „alten“ Philosophie besser gegen die „neue“ gewappnet
sein). Auf eine Auseinandersetzung auf der sachlichen Ebene lässt sich Lechleitner
allerdings nicht ein. Er beschränkt sich darauf, die Systeme der „Sophisten“ als ab-
surd und widersprüchlich zu bezeichnen, und macht gar nicht den Versuch, ihnen
11 Wenzel 1995, 560–564 ; vgl. mit Lechleitners Kritik dort (561) das Zitat des katholischen Theolo-
gen und Philosophen Franz Xaver von Baader (1765–1841), der geltend macht, dass „nur Gott“ ein
Selbstzweck sei, und fortfährt : Die „Vorstellung des Menschen als Selbstzweck ist atheistisch“.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322