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1042 Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848
Wirkung Begriffsverwirrung der neuen deutschen Philosophie bei weitem nicht allein. Zum
einen hören wir, wenig überraschend, Ähnliches von Männern, die seine grund-
sätzliche Weltanschauung teilen. So spricht etwa Görres in seiner Einleitung zur
Übersetzung wiederholt von der „heutigen Begriffsverwirrung“, und der Tiroler
Historiker Ludwig Rapp erklärte 1867 die Geisteszerrüttung des späten Giovanni
Battista Albertini – des ungeliebten ehemaligen Lehrers Lechleitners – ernstlich
durch sein „Studium der damaligen transcendentalen deutschen Philosophie“ :
Denn diese „verwirrte dergestalt seinen an klare, deutliche Begriffe, an richtige
Urtheile und bindende Schlüsse gewöhnten Verstand, daß er in Wahnsinn verfiel
und seinen Amtspflichten [als Direktor des Lyzeums in Trient] enthoben werden
mußte“ (Rapp 1867, 94). Ähnliche Vorwürfe an die neue deutsche Philosophie ka-
men aber auch von ideologisch durchaus nicht Gleichgesinnten, so z.B. von Johann
Gottfried Herder, Friedrich Nicolai und Christoph Martin Wieland (Gimpl 1992,
324–325). Der Aufklärer Nicolai fürchtete gar wie Lechleitner, dass durch die neue
Philosophie „die Jugend verderbt würde“, freilich nicht, weil sie dadurch von Gott
abfalle, sondern weil sie „den Sinn für nützliche Wissenschaften allzu früh verliert“
(zitiert nach : Gimpl 1992, 325).
Lechleitners Werk hat zwar keine breite Wirkung entfaltet, fand aber in Joseph
Görres einen prominenten Fürsprecher. Es war Görres’ langjähriger Freund und
Briefpartner, der Südtiroler Adelige Joseph von Giovanelli (1784–1845), der den
Kontakt herstellte. Auf seine Anregung schickte Lechleitner 1832 ein Exemplar der
Philosophia theoretica an Görres.12 Der Dankesbrief von Görres an Lechleitner ist
in der Ausgabe von Görres’ gesammelten Briefen nicht enthalten, wohl aber sein
Schreiben an Giovanelli, in dem er die Lektüre des Werks anspricht. Neben sei-
nem grundsätzlichen Gefallen drückt Görres darin auch seinen Unwillen über die
(protestantischen) „Nordischen“ aus, die das Werk nicht zur Kenntnis genommen
haben (Görres 1858–1874, Bd. 3, 408) : „Ich habe die vier Bände mit vieler Freude
vom Anfang bis zum Ende durchgelesen, und habe Manches aus ihnen zugelernt,
während der Hochmuth der Nordischen keine Notiz davon genommen.“ Damit
zeigt sich bereits hier das – auch – religionspolitische Anliegen, das Görres mit sei-
ner Verwendung für Lechleitner verfolgte. Da Görres aber der Ansicht war, dass die
Philosophia theoretica in deutscher Sprache bessere Werbung für die katholische Sa-
che machen könnte, regte er Lechleitners Stamser Ordensbruder Caspar Sonnerer
(1806–1862 ; vgl. Album Stamsense 86) zu einer Übersetzung des als Höhepunkt
konzipierten dritten Bandes über die Gotteserkenntnis an. Nachdem offenbar Gör-
res selbst diese Übersetzung noch leicht überarbeitet hatte (vgl. XLI), erschien sie
12 Zu Giovanelli und Görres vgl. Grass/Hochenegg 1976 (mit weiterer Literatur), zu ihrer Korrespon-
denz über Lechleitner s. dort 229–231.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322