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Dichtung 1101
Würdigung des
Gesamtwerks
Erfolg
dass Dichtung für Missi (und Oberkofler) letztlich nur ein Mittel zur Hebung der
Frömmigkeit oder, wie hier, zur Vermittlung kirchenpolitischer Botschaften war.
Dennoch ist dem Gesamtwerk von Oberkofler und Missi eine gewisse Origina-
lität nicht abzusprechen. Sie liegt v.a. in der Versifizierung bisher nicht oder nicht
in diesem Ausmaß bzw. Stil versifizierter Textgattungen. Der erste Teil des Florale
mag von den Hymnen des Breviers und Verseinlagen in diversen Gebetbüchern
inspiriert sein, doch ein so programmatischer und weitreichender Einsatz von
Dichtung ist für ein Gebetbuch offenbar eine Innovation. Für die Versifizierung
eines Katechismus gibt es vor Oberkofler und Missi nur sehr wenige Beispiele, etwa
die Catechesis metrica („Metrische Katechese“; Ülsen 1602) des Lüneburger Kon-
rektors Paul Blocius oder Gotthard Friederich Stenders Katechismus in Versen, zu
einem erleichterten Religionsunterricht für die Jugend auf dem Lande (Mitau 1781).
Beide Beispiele sind in Konzept und Ausführung aber deutlich von Oberkoflers
und Missis Katechismus unterschieden. Außerdem haben sie so wenig Verbreitung
gefunden, dass eine Kenntnis seitens unserer Autoren zweifelhaft erscheint. Was
die metrischen Heiligenkalender betrifft, lässt sich zumindest ein Modell klar aus-
machen : der Annus sacer poeticus („Heiliges dichterisches Jahr“) des französischen
Jesuiten Pierre-Juste Sautel (1613–1662).7 Dieser erstmals 1665 in Paris erschie-
nene epigrammatische Heiligenkalender war zu seiner Zeit ein großer Erfolg und
wurde bis ins 18. Jh. immer wieder neu aufgelegt. Oberkofler und Missi erweisen
sich als späte Kenner Sautels, indem sie nicht selten – aber keineswegs immer – ihr
Epigramm auf den jeweiligen Tagesheiligen wörtlich einer Passage des Annus sacer
poeticus entnehmen (was nicht gekennzeichnet wird). Zumindest in der 1912 veröf-
fentlichten erweiterten Form ihres Kalenders betrifft dies allerdings nur den ersten
Teil ihres dreigliedrigen Schemas, das bei Sautel nicht vorgebildet ist.
Die ungewöhnliche Form, die Oberkofler und Missi ihrer Frömmigkeitsvermitt-
lung gaben, bescherte dieser einen gewissen Erfolg. Die Hymnen im ersten Teil des
Florale wurden in den letzten drei Bänden des großen Repertorium hymnologicum
(Löwen/Brüssel 1892–1921) von Ulysse Chevalier berücksichtigt. Oberkoflers klei-
nes Hymnenbändchen von 1866 und das Calendarium poeticum von 1890 erlebten
zweite Auflagen. Das Calendarium wurde, wie schon erwähnt, in der einflussreichen
7 Eine andere, für Oberkofler und Missi wohl irrelevante Form mittelalterlicher und frühneuzeitli-
cher Kalenderdichtung ist das Lehrgedicht ; vgl. für das (Früh-)Mittelalter die Übersicht bei Stokes
1905, xxxix, für den primär neuzeitlichen Strang christianisierter Fastendichtung im Anschluss an
Ovid Miller 2003. Vergleichbar mit Sautel und Oberkofler/Missi sind die 1674 in Paris erschiene-
nen Fasti sacri („Heilige Fasten“) des Benediktiners Hugues Vaillant, die sich mit ihrem epigram-
matischen Konzept nur dem Titel nach an die Fastendichtung, der Sache nach an den Annus sacer
poeticus anlehnen. Vaillant hatte aber weit weniger Erfolg als Sautel und scheint von Oberkofler und
Missi nicht benutzt worden zu sein.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 2
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 728
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322