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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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einen gewissen persönlichen Zug meiner inneren Einstellung an, die unweigerlich nie die Partei der sogenannten ›Helden‹ nimmt, sondern Tragik immer nur im Besiegten sieht. In meinen Novellen ist es immer der dem Schicksal Unterliegende, der mich anzieht, in den Biographien die Gestalt eines, der nicht im realen Raume des Erfolgs, sondern einzig im moralischen Sinne recht behält, Erasmus und nicht Luther, Maria Stuart und nicht Elisabeth, Castellio und nicht Calvin; so nahm ich auch damals nicht Achill als die heroische Figur, sondern den unscheinbarsten seiner Gegenspieler, Thersites – den leidenden Menschen statt jenes, der durch seine Kraft und Zielsicherheit den andern Leiden erschafft. Das beendete Drama einem Schauspieler zu zeigen, selbst einem befreundeten, unterließ ich, immerhin schon weltklug genug, um zu wissen, daß Dramen in Blankversen und in griechischen Kostümen, selbst wenn von Sophokles oder Shakespeare, nicht geeignet sind, auf der realen Bühne ›Kassa zu machen‹. Nur der Form halber ließ ich ein paar Exemplare an die großen Theater schicken und vergaß dann ganz diesen Auftrag. Wie groß war darum meine Überraschung, nach etwa drei Monaten einen Brief zu erhalten, dessen Umschlag den Aufdruck ›Königliches Schauspielhaus Berlin‹ zeigte. Was kann das preußische Staatstheater von mir wollen, dachte ich. Zu meiner Überraschung teilte mir der Direktor Ludwig Barnay, vormals einer der größten deutschen Schauspieler, mit, das Stück habe ihm stärksten Eindruck gemacht und sei ihm deshalb besonders willkommen, weil im Achill endlich die langgesuchte Rolle für Adalbert Matkowsky gefunden sei; er bitte mich also, die Erstaufführung dem Königlichen Schauspielhaus in Berlin zu übertragen. Ich erschrak beinahe vor Freude. Die deutsche Nation hatte damals zwei große Schauspieler, Adalbert Matkowsky und Josef Kainz; der erste, ein Norddeutscher, unerreicht durch die elementare Wucht seines Wesens, seine hinreißende Leidenschaft – der andere, unser Wiener Josef Kainz, beglückend durch seine geistige Grazie, seine nie mehr erreichte Sprechkunst, die Meisterschaft des schwingenden wie des metallischen Worts. Nun sollte Matkowsky meine Gestalt verlebendigen, meine Verse sprechen, das angesehenste Theater der Hauptstadt des Deutschen Reiches meinem Drama Patendienste leisten – eine dramatische Karriere unvergleichlicher Art schien sich mir, der sie nicht gesucht hatte, zu eröffnen. Aber sich nie einer Aufführung erwartungsvoll zu freuen, ehe sich nicht wirklich der Vorhang hebt, habe ich seitdem gelernt. Zwar begannen tatsächlich die Proben, eine nach der andern, und Freunde versicherten mir, daß Matkowsky nie großartiger, nie männlicher gewesen als auf diesen Proben, da er meine Verse sprach. Schon hatte ich den Schlafwagenplatz nach 128
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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