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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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von einer fast unheimlichen Intelligenz, war bestimmt, nach dem Zusammenbruch der österreichischen Monarchie die Führung des kleinen Österreich zu übernehmen und hat bei dieser Gelegenheit sein politisches Genie hervorragend bewährt. Beide waren sie entschiedene Pazifisten, strenggläubige Katholiken, leidenschaftliche Altösterreicher und als solche in innerster Gegnerschaft gegen den deutschen, den preußischen, den protestantischen Militarismus, den sie als unvereinbar mit den traditionellen Ideen Österreichs und seiner katholischen Mission empfanden. Meine Dichtung ›Jeremias‹ hatte in diesen religiös-pazifistischen Kreisen stärkste Sympathie gefunden, und Hofrat Lammasch – Seipel war gerade verreist – bat mich in Salzburg zu sich. Der vornehme alte Gelehrte sprach sehr herzlich zu mir über mein Buch; es erfülle unsere österreichische Idee, konziliatorisch zu wirken, und er hoffe dringend, daß es über das Literarische hinaus seine Wirkung tun werde. Und zu meinem Erstaunen vertraute er mir, den er vordem nie gesehen, mit jener Offenheit, die seine innere Tapferkeit bewies, das Geheimnis an, daß wir uns in Österreich vor einer entscheidenden Wende befänden. Seit der militärischen Ausschaltung Rußlands bestehe weder für Deutschland, sofern es sich seiner aggressiven Tendenzen entäußern wolle, noch für Österreich mehr ein wirkliches Hindernis für den Frieden; dieser Augenblick dürfe nicht versäumt werden. Wenn der alldeutsche Klüngel in Deutschland sich weiter gegen Verhandlungen wehre, müsse Österreich die Führung übernehmen und selbständig handeln. Er deutete mir an, daß der junge Kaiser Karl diesen Tendenzen seine Hilfe versprochen habe; man würde vielleicht schon in nächster Zeit die Auswirkung seiner persönlichen Politik sehen. Alles hänge jetzt davon ab, ob Österreich genug Energie aufbringe, statt des ›Sieg-Friedens‹, den die deutsche Militärpartei gleichgültig gegen weitere Opfer fordere, einen Verständigungsfrieden durchzusetzen. Im Notfall müsse aber das Äußerste geschehen: daß Österreich sich vom Bündnis rechtzeitig loslöse, ehe es von den deutschen Militaristen in eine Katastrophe gerissen werde. »Niemand kann uns einer Untreue beschuldigen«, sagte er fest und entschieden. »Wir haben mehr als eine Million Tote. Wir haben genug geopfert und getan! Jetzt kein Menschenleben, kein einziges mehr für die deutsche Weltherrschaft!« Mir stand der Atem in der Kehle still. All das hatten wir uns im stillen oft gedacht, nur hatte niemand den Mut gehabt, am hellen Tage auszusprechen: ›Sagen wir uns von den Deutschen und ihrer Annexionspolitik rechtzeitig los‹, denn das hätte als ›Verrat‹ am Waffenbruder gegolten. Und hier sagte dies ein Mann, der, wie ich vordem schon wußte, in Österreich das Vertrauen des Kaisers und im Auslande dank seiner Tätigkeit im Haag das höchste Ansehen genoß, mir, einem beinahe Fremden mit solcher Ruhe und Entschiedenheit, daß ich sofort spürte, eine österreichisch-separatistische 192
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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