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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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der Ankunft in Genf mit vollem Namen unten beim Hotelportier, ich wünschte Herrn Romain Rolland zu sprechen, gerade weil es besser war für das deutsche oder französische Nachrichtenbüro, wenn sie melden konnten, wer ich war und wen ich besuchte; für uns bedeutete es doch nur eine Selbstverständlichkeit, daß zwei alte Freunde sich nicht deshalb plötzlich auszuweichen hatten, weil sie zufällig zwei verschiedenen Nationen angehörten, die sich zufällig miteinander im Kriege befanden. Wir fühlten uns nicht verpflichtet, eine Absurdität mitzumachen, weil sich die Welt absurd benahm. Und nun stand ich endlich in seinem Zimmer – fast schien es mir dasselbe wie in Paris. Da stand wie damals mit Büchern verstellt der Tisch und der Sessel. Der Schreibtisch flutete über von Zeitschriften, Zuschriften und Papieren, es war dieselbe schlichte und doch der ganzen Welt verbundene Mönchsklause der Arbeit, die sich aus seinem Wesen überall um ihn baute, wo immer er sich befand. Einen Augenblick fehlte mir das grüßende Wort, wir reichten uns nur die Hand, – die erste französische Hand, die ich seit Jahren wieder fassen durfte; Rolland war der erste Franzose, den ich seit drei Jahren sprach, – aber wir waren einander in diesen drei Jahren nähergekommen als je. In der fremden Sprache sprach ich vertrauter und offener als mit irgend jemandem meiner Heimat. Ich war mir voll bewußt, daß mit diesem Freunde der wichtigste Mann dieser unserer Weltstunde mir gegenüberstand, daß es das moralische Gewissen Europas war, das zu mir sprach. Nun erst konnte ich übersehen, was alles er tat und getan in seinem großartigen Dienst um die Verständigung. Nacht und Tag arbeitend, immer allein, ohne Hilfe, ohne Sekretär verfolgte er alle Manifestationen in allen Ländern, unterhielt eine Korrespondenz mit zahllosen Menschen, die ihn um Rat in Gewissensangelegenheiten baten, schrieb jeden Tag viele Blätter in sein Tagebuch; wie keiner von allen in dieser Zeit hatte er das Gefühl für die Verantwortung, historische Zeit mitzuleben und empfand es als Bedürfnis, Rechenschaft einer späteren zu hinterlassen. (Wo sind sie heute, jene unzähligen handschriftlichen Bände der Tagebücher, die einmal den vollkommenen Aufschluß geben werden über alle moralischen und geistigen Konflikte jenes ersten Weltkrieges?) Gleichzeitig publizierte er seine Aufsätze, deren jeder damals internationale Erregung schuf, arbeitete an seinem Roman ›Clerambault‹ –, es war der Einsatz, der restlose, pausenlose, aufopfernde Einsatz seiner ganzen Existenz für die ungeheure Verantwortlichkeit, die er auf sich genommen, innerhalb dieses Wahnsinnsanfalls der Menschheit vorbildlich und menschlich gerecht in jeder Einzelheit zu handeln. Es ließ keinen Brief unbeantwortet, keine Broschüre zu den Zeitproblemen ungelesen; dieser schwache, zarte, gerade damals in seiner Gesundheit sehr bedrohte Mann, der nur leise zu sprechen imstande war und 196
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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