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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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die Kraft, die ihn innerlich vehement und produktiv machte. Sein Ressentiment gegen Dublin, gegen England, gegen gewisse Personen hatte in ihm die Form dynamischer Energie angenommen und ist tatsächlich erst im dichterischen Werke frei geworden. Aber er schien diese seine eigene Härte zu lieben; nie habe ich ihn lachen oder eigentlich heiter gesehen. Immer wirkte er wie eine in sich zusammengeballte dunkle Kraft, und wenn ich ihn auf der Straße sah, die schmalen Lippen scharf aneinander gezogen und immer raschen Schritts, als ob er auf etwas Bestimmtes zuginge, so spürte ich das Abwehrende, das innerlich Isolierte seines Wesens noch stärker als in unseren Gesprächen. Und ich war später keineswegs erstaunt, daß gerade er das einsamste, mit allem unverbundenste, dies gleichsam meteorisch in unsere Zeit niedergestürzte Werk geschrieben. Ein anderer dieser amphibisch zwischen zwei Nationen Lebenden war Feruccio Busoni, der Geburt und Erziehung nach Italiener, der Lebenswahl nach Deutscher. Von Jugend an hatte ich keinen unter den Virtuosen dermaßen geliebt wie ihn. Wenn er am Klavier konzertierte, bekamen seine Augen einen wunderbar träumerischen Glanz. Unten schufen mühelos die Hände Musik, einzige Vollendung, aber oben horchte, leicht zurückgelehnt, das schöne durchseelte Haupt und lauschte die Musik, die er schuf, in sich hinein. Eine Art Verklärung schien ihn dann immer zu überkommen. Wie oft hatte ich in den Konzertsälen wie verzaubert auf dies durchleuchtete Antlitz gesehen, während die Töne weich aufwühlend und doch silbern klar mir bis ins Blut eindrangen. Nun sah ich ihn wieder, und sein Haar war grau und seine Augen umschattet von Trauer. »Wohin gehöre ich?« fragte er mich einmal. »Wenn ich nachts träume und aufwache, weiß ich, daß ich im Traum italienisch gesprochen. Und wenn ich dann schreibe, denke ich in deutschen Worten.« Seine Schüler waren zerstreut in aller Welt – »einer schießt vielleicht jetzt auf den andern« –, und an das eigentliche Werk, seine Oper ›Doktor Faust‹, wagte er sich noch nicht, weil er sich verstört fühlte. Er schrieb einen kleinen, leichten musikalischen Einakter, um sich zu befreien, aber die Wolke wich nicht von seinem Haupt während des Krieges. Selten hörte ich mehr sein herrlich vehementes, sein aretinisches Lachen, das ich an ihm vordem so sehr geliebt. Und einmal traf ich ihn spätnachts in der Halle des Bahnhofrestaurants, er hatte allein zwei Flaschen Wein getrunken. Als ich vorbeiging, rief er mich an. »Betäuben!« sagte er, auf die Flaschen deutend. »Nicht trinken! Aber manchmal muß man sich betäuben, sonst erträgt man es nicht. Die Musik kann es nicht immer, und die Arbeit kommt nur in guten Stunden zu Gast.« Am schwersten aber war die zwiespältige Situation für die Elsässer und unter ihnen wieder am allerschlimmsten für diejenigen, die wie René Schickele mit dem Herzen zu Frankreich hielten und in deutscher Sprache 204
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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