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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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schrieben. Um ihr Land ging ja eigentlich der Krieg, und die Sense schnitt ihnen mitten durchs Herz. Man wollte sie nach rechts ziehen und nach links, Bekenntnis zu Deutschland oder zu Frankreich von ihnen erzwingen, aber sie verabscheuten dies ›Entweder-Oder‹, das ihnen unmöglich war. Sie wollten, wie wir alle, Deutschland und Frankreich als Brüder, Verständigung statt Befeindung, und darum litten sie um beide und für beide. Und rundherum noch die ratlose Schar der Halbverbundenen, der Gemischten, englische Frauen, die deutsche Offiziere geheiratet, französische Mütter österreichischer Diplomaten, Familien, wo der eine Sohn hüben diente und der andere drüben, wo die Eltern da und dort auf Briefe warteten, das Wenige hier konfisziert, die Position dort verloren war; alle diese Zerspaltenen hatten sich in die Schweiz gerettet, um der Verdächtigung zu entgehen, die sie in der alten und in der neuen Heimat gleicherweise verfolgte. In Furcht, die einen zu kompromittieren und die andern, vermieden sie, in jedweder Sprache zu sprechen und schlichen wie Schatten herum, zerstörte, zerbrochene Existenzen. Je europäischer ein Mensch in Europa gelebt, um so härter wurde er von der Faust gezüchtigt, die Europa zerschlug. Inzwischen war die Aufführung des ›Jeremias‹ herangerückt. Sie wurde ein schöner Erfolg, und daß die ›Frankfurter Zeitung‹ denunzierend nach Deutschland berichtete, es hätten der amerikanische Gesandte und einige prominente alliierte Persönlichkeiten ihr beigewohnt, beunruhigte mich nicht sehr. Wir spürten, daß der Krieg, nun in seinem dritten Jahr, innerlich immer schwächer wurde und Widerstand gegen seine ausschließlich von Ludendorff erzwungene Fortführung nicht mehr so gefährlich war wie in der ersten Sündenzeit seiner Glorie. Der Herbst 1918 mußte die endgültige Entscheidung herbeiführen. Aber ich wollte diese Zeit des Wartens nicht länger in Zürich verbringen. Denn ich hatte allmählich wachere und wachsamere Augen bekommen. Im ersten Enthusiasmus meiner Ankunft hatte ich vermeint, unter all diesen Pazifisten und Antimilitaristen wirkliche Gesinnungsgenossen zu finden, redlich entschlossene Kämpfer für eine europäische Verständigung. Bald wurde ich gewahr, daß unter denen, die sich als Flüchtlinge aufspielten und die sich als Märtyrer heroischer Überzeugung gebärdeten, einige dunkle Gestalten sich eingeschmuggelt, die im Dienst des deutschen Nachrichtenbüros standen und bezahlt waren, jeden auszuhorchen und zu überwachen. Die ruhige, solide Schweiz erwies sich, wie jeder aus eigener Erfahrung bald feststellen konnte, unterhöhlt von der Maulwurfsarbeit geheimer Agenten aus beiden Lagern. Das Stubenmädchen, das den Papierkorb ausräumte, die Telephonistin, der Kellner, der bedenklich nahe und langsam servierte, standen im Dienst einer feindlichen Macht, oft sogar 205
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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