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Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
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Überhitztheit unerträglich war, dieses tägliche nervenzerreißende Ausgerecktwerden auf dem Streckseile der Inflation, und daß die ganze kriegsmüde Nation sich eigentlich nur nach Ordnung, Ruhe, nach ein bißchen Sicherheit und Bürgerlichkeit sehnte. Und im geheimen haßte sie die Republik, nicht deshalb, weil sie diese wilde Freiheit etwa unterdrückt hätte, sondern im Gegenteil, weil sie die Zügel zu locker in Händen hielt. Wer diese apokalyptischen Monate, diese Jahre miterlebt, selbst abgestoßen und erbittert, der fühlte: hier mußte ein Rückschlag kommen, eine grauenhafte Reaktion. Und lächelnd warteten im Hintergrund dieselben, die das deutsche Volk in dieses Chaos getrieben, mit der Uhr in der Hand: »Je schlimmer im Land, desto besser für uns.« Sie wußten, daß ihre Stunde kommen würde. Um Ludendorff mehr noch als um den damals noch machtlosen Hitler kristallisierte sich schon ganz offenkundig die Gegenrevolution; die Offiziere, denen man die Epauletten abgerissen, organisierten sich zu Geheimbünden, die Kleinbürger; die sich um ihre Ersparnisse betrogen sahen, rückten leise zusammen und stellten sich im voraus jeder Parole bereit, sofern sie nur Ordnung versprach. Nichts war so verhängnisvoll für die deutsche Republik wie ihr idealistischer Versuch, dem Volke und selbst ihren Feinden Freiheit zu lassen. Denn das deutsche Volk, ein Volk der Ordnung, wußte nichts mit seiner Freiheit anzufangen und blickte schon voll Ungeduld aus nach jenen, die sie ihm nehmen sollten. Der Tag, da die deutsche Inflation beendet war (1923), hätte ein Wendepunkt in der Geschichte werden können. Als mit einem Glockenschlag je eine Billion emporgeschwindelter Mark gegen eine einzige neue Mark eingelöst wurde, war eine Norm gegeben. Tatsächlich flutete der trübe Gischt mit all seinem Schmutz und Schlamm bald zurück, die Bars, die Schnapsbuden verschwanden, die Verhältnisse normalisierten sich, jeder konnte jetzt klar rechnen, was er gewonnen, was er verloren. Die meisten, die riesige Masse hatte verloren. Aber verantwortlich gemacht wurden nicht die den Krieg verschuldet, sondern die opfermütig – wenn auch unbedankt – die Last der Neuordnung auf sich genommen. Nichts hat das deutsche Volk – dies muß immer wieder ins Gedächtnis gerufen werden – so erbittert, so haßwütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation. Denn der Krieg, so mörderisch er gewesen, er hatte immerhin Stunden des Jubels geschenkt mit Glockenläuten und Siegesfanfaren. Und als unheilbar militärische Nation fühlte sich Deutschland durch die zeitweiligen Siege in seinem Stolze gesteigert, während es durch die Inflation sich einzig als beschmutzt, betrogen und erniedrigt empfand; eine ganze Generation hat der deutschen Republik diese Jahre nicht vergessen und nicht verziehen und lieber seine Schlächter 231
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Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
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