Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Biographien
Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers
Seite - 238 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 238 - in Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Bild der Seite - 238 -

Bild der Seite - 238 - in Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers

Text der Seite - 238 -

und Bach und Beethoven, Goethe und Balzac. So wäre es eine lächerliche Pose, wollte ich behaupten, daß der unerwartete äußere Erfolg mich gleichgültig oder gar innerlich ablehnend gefunden hätte. Aber ich bin ehrlich, wenn ich sage, daß ich mich des Erfolges nur freute, solange er sich auf meine Bücher und meinen literarischen Namen bezog, daß er mir aber eher lästig wurde, wenn sich Neugier auf meine physische Person übertrug. Von frühester Jugend an war nichts in mir stärker gewesen als der instinktive Wunsch, frei und unabhängig zu bleiben. Und ich spürte, daß bei jedem Menschen von seiner persönlichen Freiheit viel des Besten durch photographische Publizität gehemmt und verunstaltet wird. Außerdem drohte, was ich aus Neigung begonnen, die Form eines Berufs und sogar eines Betriebs anzunehmen. Jede Post brachte Stöße von Briefen, Einladungen, Aufforderungen, Anfragen, die beantwortet werden wollten, und wenn ich einmal einen Monat wegreiste, dann gingen nachher immer zwei oder drei Tage verloren, um die aufgehäufte Masse wegzuschaufeln und den ›Betrieb‹ wieder in Ordnung zu bringen. Ohne es zu wollen, war ich durch die Marktgängigkeit meiner Bücher in eine Art Geschäft geraten, das Ordnung, Übersicht, Pünktlichkeit und Geschicklichkeit erforderte, um richtig erledigt zu werden – all dies sehr respektable Tugenden, die leider meiner Natur keineswegs entsprechen und das reine, unbefangene Sinnen und Träumen auf das gefährlichste zu stören drohten. Je mehr man darum von mir Teilnahme wollte, Vorlesungen, Erscheinen bei repräsentativen Anlässen, desto mehr zog ich mich zurück, und diese fast pathologische Scheu, mit meiner Person für meinen Namen einstehen zu sollen, habe ich nie überwinden können. Mich treibt es noch heute vollkommen instinktiv, in einem Saale, einem Konzert, einer Theateraufführung mich in die letzte, unauffälligste Reihe zu setzen, und nichts ist mir unerträglicher, als auf einem Podium oder sonst exponierten Platz mein Gesicht zur Schau zu stellen; Anonymität der Existenz in jeder Form ist mir Bedürfnis. Schon als Knabe waren mir jene Schriftsteller und Künstler der früheren Generation immer unverständlich, die durch Samtjacken und wallendes Haar, durch niederhängende Stirnlocken wie etwa meine verehrten Freunde Arthur Schnitzler und Hermann Bahr, oder durch auffallende Barttracht und extravagante Kleidung sich schon auf der Straße erkenntlich machen wollten. Ich bin überzeugt, daß jedes Bekanntwerden der physischen Erscheinung einen Menschen unbewußt verleitet, nach Werfels Wort als ›Spiegelmensch‹ seines eigenen Ich zu leben, in jeder Geste einen gewissen Stil anzunehmen, und mit dieser Veränderung der äußeren Haltung geht gewöhnlich Herzlichkeit, Freiheit und Unbekümmertheit der inneren Natur verloren. Wenn ich heute noch einmal anfangen könnte, würde ich darum trachten, diese beiden Glückszustände, den des literarischen Erfolgs und den der persönlichen Anonymität gleichsam verdoppelt zu genießen, 238
zurück zum  Buch Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers"
Die Welt von Gestern Erinnerungen eines Europäers
Titel
Die Welt von Gestern
Untertitel
Erinnerungen eines Europäers
Autor
Stefan Zweig
Datum
1942
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
320
Schlagwörter
Biographie, Litertaur, Schriftsteller
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Die Welt der Sicherheit 10
  3. Die Schule im vorigen Jahrhundert 29
  4. Eros Matutinus 56
  5. Universitas vitae 74
  6. Paris, die Stadt der ewigen Jugend 98
  7. Umwege auf dem Wege zu mir selbst 122
  8. Über Europa hinaus 135
  9. Glanz und Schatten über Europa 145
  10. Die ersten Stunden des Krieges von 1914 160
  11. Der Kampf um die geistige Brüderschaft 177
  12. Im Herzen Europas 189
  13. Heimkehr nach Österreich 208
  14. Wieder in der Welt 224
  15. Sonnenuntergang 240
  16. Incipit Hitler 263
  17. Die Agonie des Friedens 286
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Die Welt von Gestern