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412 VI. Biographisches.
zosen, aber bessere komische Schauspieler, Ihre
Laune hatte etwas Männliches, man merkt ihren
heitere Menschen an, daß sie auch ernsthaft sein
können, wenn es not tut, uud das ist es, was
den junior vom Witz nnd Spaß unterscheidet.
Nur verstand ich unglücklicherweise von dem,
was sie sprachen, anfangs kaum ein Wort, Ich
merkte daher, das; dte Schule für die S^rnchc,
als die mau das Theater preist, vorderhand
sür mich eine zu hol,.- >Vi,
Ich begab mich daher in die Gcrichtsoer»
handlnugeu, uud da sand ich, w>>; ich suchte,
Tic plädierenden Advokaten, besonders die
jüngeren, sprachen langsam, um sich besinnen
zu können, Ta nun zugleich der Engländer
auf seine häßliche Sprache so stolz ist, nl>
kaum eiue audcrc Nation, und sich daher Mühe
gibt, sie so gut aw möglich zu sprechen, so
war mir der Gcrichtosaa! eine wahrhafte Sprach»
schule, uud ich brachte es auch so weit, daß iu
)cr zweiten Hälfte meines Aufenthaltes mich
jeder,nanu verstand, nur ich die andern nicht,
wenn sie nicht langsam sprachen, wie meiue
Advokaten,
Auch sonst waren mir diese Gcrichtsverhand-
lnngcn im höchsten Grade interessant, Tas
Pndlünm wohnte denselben nicht mit der Neu»
gierde d^r Franzosen, sondern mit einer Art
kirchlicher Pietät bei. In der Untersuchung
einc-5 UnzuchtfnIIes, der so öffentlich verhandelt
wurde, wie alle übrigen, tat der alte, ernste,
in seine Perücke vermummte Richter, zur Kou-
statierung der sleischlichen Umstände, Fragen
au die Zeugen, die überall sonst in der Welt
wieherndes Gelächter erregt haben würden, hier
aber fiel niemand ein, nur den Mund zu
verziehe». Man merkte, daß das Gefühl von
Recht und Gericht die geistige Atmosphäre der
Versammlung bildete, Uni dieses selbstlichter»
lichen Gefühls wegen tut es nur leid, daß die
Geschworenengerichte in nuincm Vaterlande
wieder abgestellt worden sind,
Ter Sommer des Jahres 1836 war einer
der kältesten uud regnerischesten des laufenden
Jahrhunderts, Das Reisen ins Innere von
England wurde dadurch beinahe unmöglich gc»
macht. Von Eisenbahnen bestanden damals nur
einzelne Anfänge, Tie Lnudtutschen waren in
der Inscite zu teuer, und die Außenseite, des
häufigen Regens halber, nicht verwendbar. Vor
allem hätten mich die Universitäten interessiert,
als direkt den deutschen entgegengesetzt, die mir,
ihres Prinzips der Vielwisserei wegen, zuwider
warcn, obwohl das Exklusive der englischen
auch nichts Gutes sein mag. Aber dazu ge-
hörten Bekanntschaften, die ich nicht machen
wollte, obgleich es mir an Adressen und Emp-
fehlungen nicht mangelte, Schlösser und Landes»
kultui zu betrachten, hinderte das Wetter, Tie
gotischen Baudenkmäler, die mich in meiner
Jugend entzückt hatten, waren mir durch die
Übertreibungen meiner deutschen Landsleutc
so widerlich geworden, daß mir noch jetzt des Askelij>>ü'l!, ,>!>>> i ,,,!>,,,,
duimm'n macht. Ich trieb mich dalier in London
herum, das, im Gegensa!) von Paris, anfangs
w^ing imponn'rt, ader allmäMich ',um Niese»'
hasten und Bewältigenden anwächst.
Endlich kam der Tag der ÄlnvijV
hatte nur vorgenommen, die ha»ptp»nkte von
Holland zu sehen und dauu über Belgien nach
hause zu reisen, Bci der damalv >Vn,dlichen
Stelluug beider Länder aber war die lldei-
schrcitiiug der Grenze mit unendlichen Schwie-
rigkeiten verbunden. Ich entschied mich da-
her für Vclgicn und ging mit dein Ta,»pi>
boote nach Antwerpen, Von da auf BnmVl
und Lüttich, wo ich zum erstenmal eiue längere
Strecke Eifenbahn befnhr (schon iu London gab
es ein kleines Eudchen in der Richtung nach
Greenwich), Ten wcitern Weg wein ich nicht
mehr. Wer mir den Vorwnrf macht, daß ich
wie ein Mautelsack reiste, tut mir nicht un-
recht. Mir war aber immer da? Reisen zu-
wider, nur die Nachwirkung tat mir wohl.
Unterdessen war in meine,» Vaterlande
Kaiser Franz zu seinen Väter» versammelt wo»
den, und an seiner stelle regierte >la>iVr Fer-
dinand, oder vielmehr an dessen Stelle i^ii,
Oheim Erzherzog Ludwig, Ungefähr nm diese
Zeit wurde der Tienstplatz eines Bil'lii'!
der Wiener Universitätsbibliothek erledigt, '">,>'
Wesen loszniomme», uud ich setzte mich dafür
in Bewerbung,
Eigentlich war es nnr ein Tiensttausch, da
mit beiden Stellen der nämliche behalt ve>-
buuden war. Ich m»s;te der Übuug gemäß
d^m Ttcllvcrtrctcr des Kaisers, Erzherzog L»d>
wig, meine persönliche Aufwartung mache».
Man machte mich im voraus anfmeltsam, daß
der Erzherzog die Gewohnheit habe, den Bitt-
steller anzuhören, ohne selbst ein Wort ^n
sprechen, daß sein Stillschweigen aber gar tt'i»
Vorzeichen einer ungünstigen Entscheidung sc>.
Wie war ich daher am Andienztage erstaunt,
als mir der Erzherzog entgegentrat, micl,
freundlich anredete, sich mit nnr längere Zeit
unterhielt uud mich endlich ebenso wohlwollend
entließ, Tie Stelle selbst aber erhielt nicht
ich, sondern, trotz dieser hofsnuugerregcnden
Freundlichkeit, ein Schrcibcrsknecht der 5?oi-
bibliothek, der mir an Tienstjahren und Gehalt
um die Hälfte nachstand, aber von einem dor-
tigen Vorgesetzten empfohlen war, der selbst
einer Empfehlung bedurft hätte, um jemaud
andern empfehlen zu können. Tiefer selbe Vor-
stand gehörte übrigens unter meine begeistert-
sten Freunde uud Bewunderer, Im al!>',
herrschte rücksichtlich meiner eine Art Blöd»
sinn, vermöge dessen man glaubte, mit Lob uuo
Wertschätzung mich vollkommen abgcjuuden zu
habeu.
Ich kehrte daher zu meinen Akten zurück, die
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik