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Studien zur Literatur
l. Zur deutschen Literatur.
Zur Literaturgeschichtc.
Nicht leicht ist die Geschichte je in so hohem
Ansehen gestanden, als bei den neuesten Teut-
schen, Und mit Recht, Nie Naturwissenschaften
beiseite gesetzt, und so lange es tcine Philo-
sophie gibt, ist die Geschichte die Lehrerin des
Menschengeschlechtes, Freilich ist ihr Nntzen
großenteils ein negativer. Sie zeigt uns den
Hochmut, den Eigennutz, die Leidenschaften, die
hüten! aber eben dadnrch wird ihr Nutzen nuch
positiv, denn wenn man erst alle falschen Wege
Wcr eine solche Ansicht des Menschcngetiicbcs
für zu dunkel hielte nnd dagegen die unleug-
bnrcn Fortschritte der Welt zum Nessern an°
führte, mag in bezug auf das Trübe der An-
trachten; was aber den Fortschritt betrifft,
nicht vergessen, daß einzelne ausgezeichnete
Männer der Tat, des Wissens und der Kunst
andererseits abet de^l glücklichen Umstand in
Anschlag bringen, daß das Gute und Rechte, ab-
gesehen von ihrem inneren Wert, auch »och den
äußeren haben, daß sie der Nutzen aller, gegen-
über dein Eigennutz des einzelnen, sind, so
daß jeder Gewinn- und Ehrsüchtige im Großen
das ganze Menschengeschlecht gewissermaßen ans
gewalttätige Freuler zuletzt nicht sowohl be-
jicgt als erdrückt wird.
Wenn man nun aber der ncudeutschen Ver-
ehrung der Geschichte näher nachforscht und, wie
in einem Kaufladeu, außer der Aufschrift auf
der Büchse, in die Büchse selber hineinsieht, so
wird die Freude über jeue Wertschätzung sehr
vermindert. Na ist denn die Geschichte der sich
selbst realisierende Begriff, und noch dazu mit
nachweisbarer Notwendigkeit und zu immer»
währendem Fortschritt, Hier hört auf einmal
der praltische N»!u'n der Geschichte ans, und sie
belmmnt dafür einen theoretischen Heiligenschein,
Sie ist das Wandeln Gottes auf der Erde,
welcher Gott aber seinerseits durch die Geschichte erst gemacht wird. Die Vergangenheit zu er-
forschen, wäre ein Geschäft für Schwachköpfe,
)ie nicht die Gaben haben, sie aus der Gegen-
wart zu deduzieren, und der Geschichtschreiber
hätte sich vielmehr an die Zukunst zu wenden,
um sie, gleichfalls mit Notwendigkeit, im voraus
zu bestimmen. Man sage nicht, daß diese An-
sichten einer halbverrückten Philosophie uuscrer
wirtlichen Geschichtschreibung aufgedrungen seien;
Weile, trotz ihrer Vorzüge, einer aus der
Trunkenheit erwachten Nachwelt geradezu unge-
nießbar machen. Warum ich von dieser Ver-
Einfluß auf die Literargeschichte ausgeübt hat,
Zwischen dieser, der Liteiargcschichte und
der Menschen- oder Völkergcschichte, zeigt sich
nun gleich von vornherein ein ungeheurer Unter-
schied, der nicht nur ihren Gegenstand, sundern
und sie zu erforschen und richtig zu stellen, ist
die Hauptaufgabe des Historikers; die Begeben«
licitt-n der Literargeschichte, die Werke der
Schriftsteller sind noch heute da, wie vor Jahr»
und Shakespeare stehen vor mir auf meinem
Pulte, nnd ich lnnn jeden Augenblick sie mir
vergegenwärtigen, nicht bloß die Nachricht von
ihnen, sie selbst, als ob ich mit ihnen zugleich
sie sich befanden^ sind allerdings wichtig zum
Verständnis ihrer Werke, aber das leistet die
Völkergeschichte, und es braucht dazu keine weitere
steller; die Welt lebt aber von ihren Vorzügen,
Au dem Schriftsteller mehr Auteil zu nehme»»
glückte Halbgenies mit dem Truste zu erquicken,
was sie alles Erstaunliches geleistet hätten, wenn
Wenn auf diese Art die eigentlichen Fattcn
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik