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Wer ist schuldig?
Lustspiel in einem Aufzngc.
Holl.
O>ii!c
Erster Auftritt.
Marie
Tic Euunc rötet schon der Vänme schwanke
Spü^'u,
Nie Büsche werden laut, und Gras und Blätter
dliyen,
lind auf dem Felde, das im Morgcnstrahlc glüht,
Ertönt der Lerche herzerhebcnd Iubellied^
Und alles wacht und Iel>t und freut sich seines
Lebens,
Nur mir winlt alle diese Herrlichkeit ver>,ebcus'
Ach, nur vor wenig Jahren »och konnt ich so
rein,
Eo innig, so entzückt mich dieses Anblicks freun,
Toch nnn ist's anders, tausend tleine, läst'gc
Sorgen
Vergällen neidisch mir den himmlisch schönen
Morgen, —
O Männer, Männer, ihr verdient es wahrlich
uicht,
Taß eines Weibes herz nm euretwillen bricht.
Ihr gehet ruhig eurer Wege, unbekümmert,
Ob eine Träne in des Weibes Auge schimmert,
Äie cner schouuugswser Leichtsinn ihr erpres;t,
Und eilt Uon Lust zu Lnst uud spielt und tändelt
und — vergebt!
Erst schmeicheln sie so süß, uud wir gchu in die
Falle,
Eclmell wird das Lamm ',um Wolf, uud so, so
siud sie alle.
Mein Mann ist gut und weich, ein Manu, der
lieben kann,
Ein Mann von Geist, von Herz, kurz, ein voll«
unter Blinden —
Noch ach, cr ist ein Man», und treu kein Mann
zn sindcn! —
5?errschsüchtigcs uud nngczügeltes Geschlecht!
Eo stempelt t>enn dein Wille jede Tat zum Recht? Euch schmückt des Ruhmes «rauz, e»ch blülü d,.^
Ihr herrscht im haus, im Lchrstnhl, auf dem
Throne,
Nie ganze Welt ist encr ungeheures Neich,
Ta schaltet ihr allmächtigen Göttern gleich
Und schlürft Wie Opserdampf des Lobes Wohl»
Indes die Frau, verbannt iu «inderstnb' uud
>!>,>! c,
Tem Herrn der Erde dient a>7' laum deiuerlle
','.'! agd.
Ter trällert, loeun fie luciut, uud Pfeifet, w^>,i
sie klagt.
Und preist uns auch am ^chreidiisch hie und da
Äl-? Ehemann ist er vom nämlichen Gelichter
Ergrimmt wirft Schillers Wind' der Frau'u er
ans der Haud,
Weil seine sich zu widersprechen unterstand.
Genug! Iu Wieu wir iu dem Lande der EInuei^l
Ist eine Frau das unglückseligste aller Wesen!
Wenn's einer ja einmal sich zu erheben glücli,
Taun stürmt mau aus sie ein, bis aller Mut
erstickt,
Und jene feinen Titel: Mannweib und Gelehrte
2ind es, mit denen man von jeher sie beelin,'
Tem Platz auf Thron und Kanzel, Würd u,i>
Vaud und Stern,
Wenn Lieb' und Treue nur dafür uns noch be<
leimte,
Toch ach, ein Mann uud treu? Vielleicht der
Ä'auu im Moude!
Was sie an uns verdamme», tun fie uuqei>!>,'>i!,
Was uns Verbrechen ist, ist ihnen Arti,,it>',t
Mein Mann ward rot, als mich Herr Iauer
iim,>s! nur g!'üs',!e,
Toch daß cr gestern ecsi mem ^ammei!,
üisüe,
Tas darf das Weib nicht rügen; fehlen kaun
nur sie,
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik