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Gefangen in der Dunkelheit#

Selbst auf extrem unwirtlichen Himmelskörpern könnten Geschöpfe existieren: Raumsonden orten unter den Eispanzern einiger Planeten Indizien für verborgene Ozeane. Und Wasser ist Leben.#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 7./8. September 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Christian Pinter


Saturnmond Titan
Über dem steinernen Kern des Saturnmonds Titan liegt Eis, in dem ein globaler Wasserozean (blau) eingebettet sein könnte.
Grafik: NASA

Der menschliche Körper besteht aus zehn Milliarden Zellen. Auf und in ihm tummelt sich jedoch eine noch viel größere Anzahl von Bakterien - unter anderem im Speichel, wo sie der Niederländer Antoni van Leeuwenhoek mit einem selbstgebauten Mikroskop bereits um 1676 beobachtete. Ohne das Heer solcher Winzlinge könnte selbst die "Krone der Schöpfung" nicht existieren.

Auch Bakterien brauchen Wasser als Lösungsmittel. Die Eigenschaften dieser chemischen Verbindung aus Sauerstoff und Wasserstoff sind äußerst lebensfreundlich. Wasser bleibt zudem über einen großen Temperaturbereich flüssig - und der passt sehr gut zu jenem, in dem auch organische Moleküle stabil sind. In der Tiefsee fand man einzellige Archaeen, die bei 113 Grad Celsius überlebten. Dafür wies man in Oregon Mikroben nach, die fast am Gefrierpunkt gediehen: Ihnen reichte die Oxidation von Eisen im vulkanischen Mineral Olivin als Nahrung. Mit zunehmender Kälte verlangsamen sich biologische Prozesse allerdings stark; genau deshalb legen wir Nahrungsmittel gern in den Kühlschrank. Die "habitable Zone"

Fazit: Ohne flüssiges Wasser scheint Leben, wie wir es kennen, ausgeschlossen. Um es auf anderen Welten in unserem Sonnensystem zu finden, muss man daher, so die Meinung der meisten Astronomen, vor allem nach diesem kostbaren Nass suchen.

Damit Wasser an der Oberfläche eines Himmelskörpers existieren kann, braucht dieser eine einigermaßen dichte Atmosphäre. Er muss außerdem in jenem begünstigten Abstand um seine Sonne kreisen, in dem das Wasser weder verdampft noch gefriert. Wo sich diese theoretisch bewohnbare Region ("habitable Zone" genannt) jeweils befindet, hängt von der Leuchtkraft des Sterns ab. Bei kühlen Zwergsternen liegt sie deutlich weiter innen als in unserem Planetensystem; bei heißen, massereichen Sonnen viel weiter draußen. Dichte und Zusammensetzung der Planetenatmosphären verkomplizieren das Bild deutlich. Sogar Wolken wären zu berücksichtigen. Sie können wärmen oder kühlen.

Jüngst entdeckten deutsche Astronomen gleich drei Planeten in der habitablen Zone um den Zwergstern Gliese 667C. In unserem eigenen System kreist aber bloß die Erde unbestritten darin. Unsere Nachbarplaneten Venus und Mars liegen, je nach Modell, gerade noch drinnen oder bereits draußen. In ihren Jugendjahren war die Sonne etwas kühler. Damals mögen auf der Venus lieblichere Bedingungen geherrscht haben, vielleicht mit ausgedehnten Gewässern an der Oberfläche. Die hohe Konzentration von Deuterium in der heutigen Venusatmosphäre wird als Indiz dafür gedeutet.

Dann kam es zur Klimakatastrophe. Jetzt wird die Venus von einer dichten Kohlendioxid-Atmosphäre eingehüllt. Am Boden maßen Raumsonden 460 Grad Celsius und einen 90-fach höheren "Luftdruck" als auf Erden. Vielleicht trug der Wind jedoch Mikroben rechtzeitig in die Wolken hinauf - in Höhen, wo Temperatur und Druck heute einigermaßen denen am Erdboden gleichen. Da das Gewölk der Venus aus Schwefelsäure besteht, hausten einfache Venus-Geschöpfe dort wie in einer Autobatterie. Am Fuße der Wolken sollen sogar Wassertropfen existieren.

Ganz anders Mars. Der rote Planet besaß sicher einmal ausgedehnte Wasserflächen, ging dann jedoch des Großteils seiner Atmosphäre verlustig. Am Boden zeigt das Barometer heute gerade noch ein halbes Prozent des irdischen Drucks an. Wasser würde rasch verdampfen. Mars ist zum Wüstenplaneten geraten. Unter seiner Oberfläche fand man aber Eis. Und unter diesem Permafrost wird flüssiges Nass zumindest vermutet. Vielleicht flohen etwaige Marsbewohner in diesen Untergrund. Schließlich fand man ja auch auf Erden Mikroorganismen, die hunderte Meter unter der Oberfläche hausen und dabei Methan produzieren. Auf Mars stieß eine Raumsonde ebenfalls auf dieses Gas. Es wird allerdings auch bei geologischen Prozessen frei.

Verborgene Ozeane#

Wie Laborversuche andeuten, könnte das Methan letztlich sogar nur von Meteoriten herrühren, die auf das weitgehend ungeschützte Antlitz des Roten Planeten prasseln.

Unbestritten ist: Die sonnenfernen Gasriesen Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun ziehen weit außerhalb der habitablen Zone dahin. Sie werden von zahlreichen, recht ansehnlichen Monden umkreist. Der Kälte wegen bestehen die Mondlandschaften fast ausnahmslos aus Wassereis. In den größeren Trabanten stecken aber steinerne Kerne, in denen der Zerfall radioaktiver Isotope für Hitze sorgt. Außerdem laufen die Monde auf elliptischen Bahnen um ihre mächtigen Planeten. Die resultierenden Gezeitenkräfte kneten sie durch: Die Himmelskörper werden periodisch ein wenig in die Länge gezogen und dann wiederum gestaucht. Das schenkt ihnen zusätzlich Wärme. Unterhalb der eisigen Krusten mag man sich deshalb flüssiges Wasser vorstellen. Es mag zwischen zwei Eisschichten eingesperrt sein oder in direktem Kontakt zum steinernen Kern stehen. In letzterem Fall würden wichtige Minerale direkt von unten angeliefert. Von oben dringen solche - gemeinsam mit organischen Verbindungen - bei schweren Asteroiden- oder Kometeneinschlägen ein. Beimengungen von Ammoniak oder von Salzen dienen womöglich als "Frostschutzmittel": Der heimliche Ozean würde dann auch bei Temperaturen weit unter null nicht einfrieren. Etwaige Meeresbewohner könnten sich am Boden versammeln oder frei im Wasser treiben. Der Eispanzer über ihnen schützte sie vor der Strahlung des Alls; er verdammte sie allerdings auch zu einem Dasein in ewiger Dunkelheit.

Nicht ausgeschlossen, dass es solch lichtlose Wasserreservoirs in drei der vier großen Jupitermonde gibt: Europa, Ganymed und Kallisto. Im Orbit um Saturn kämen die Trabanten Titan, Dione, Rhea und Enceladus in Frage. Bei Uranus wären es die Monde Oberon und Titania. Beim noch ferneren Neptun denkt man an den Satelliten Triton. Übrigens mag selbst der Eiszwerg Pluto Wasser unter seiner Oberfläche verstecken.

Eiskruste des Jupitermonds
Unter der zerbrochenen Eiskruste des Jupitermonds Europa mag sich ein tiefes Meer verbergen.
© NASA

Am Grund der verborgenen Meere stellen sich Forscher heiße hydrothermale Quellen vor, wie sie auch in der irdischen Tiefsee brodeln: Bei uns strömt dort erhitztes, mit Sulfiden und anderen Salzen angereichertes Wasser aus; Temperatur und Druck rittern an diesen Quellen mit jenen auf der Venusoberfläche.

Doch schon in einigem Abstand davon findet man auf Erden hitzeliebende Bakterien. Sie setzen auf Chemosynthese und nutzen giftige Substanzen wie Schwefelwasserstoff als Energiequelle. Vielleicht ernähren ähnliche Mikroben auch anderswo im Sonnensystem eine ganze Pyramide verschiedener Arten - bis hin zu Würmern von Garnelengröße.

Starke Indizien für einen versteckten Ozean machten Raumsonden auf dem Jupitermond Europa aus: Der Eispanzer ist dort stellenweise in kantige Blöcke zerbrochen, die sich verschoben und dabei drehten. Wahrscheinlich "schwimmt" dieses 100 km dicke Eis letztlich auf Wasser. Auch das Antlitz von Saturns Mond Titan besteht aus Wassereis. Hingegen bleiben Ethan und Methan selbst bei minus 180 Grad C noch flüssig und bilden ausgedehnte Seen. 200 km unter der Eiskruste Titans verbirgt sich mutmaßlich ein Wasserozean. Er ist womöglich bis zu 300 km tief. Schwerefeldmessungen der Raumsonde Cassini deuten das an. An der Oberfläche des Neptunmonds Triton ist es sogar minus 235 Grad C kalt. Dennoch erbrechen Geysire dort Stickstoff. In einiger Tiefe dürfte Tritons Wassereismantel flüssig werden. Ammoniak hilft ihm dabei.

Auf Erden ist das Leben unglaublich anpassungsfähig. Bakterien besetzen hier einen extrem weiten Temperatur- und Druckbereich. Sie tummeln sich in äußerst sauren oder basischen Lösungen. Womöglich steckt mehr als ein Drittel der irdischen Biomasse im Untergrund und verzichtet so auf Sonnenlicht. Daher scheint Leben auch im lichtlosen Untergrund anderer Welten nicht ausgeschlossen. Allerdings wird man zur Suche wohl ein Mikroskop benötigen. Denn die wahren Überlebenskünstler sind Mikroorganismen; je komplexer Kreaturen geraten, desto mehr schwindet ihre Toleranz fürs Extreme. Das weiß man aus dem Studium irdischer Lebewesen.

Auf Jupiters Mond Europa landet vielleicht einmal ein Roboter, der sich selbst durch die dicke Eiskruste schmilzt und dann ein Miniatur-U-Boot im Ozean absetzt.

Waisen der Milchstraße#

Einfacher macht es uns Saturns Mond Enceladus. Auch er könnte ein verdecktes Meer sein eigen nennen. Nachgewiesen sind Fontänen aus Wasser, Kohlendioxid und etwas Stickstoff, die Enceladus ins All pustet. Dabei spuckt er womöglich sogar Organismen aus: Flöge eine entsprechend konzipierte Raumsonde durch diese Fontänen, könnte sie solche Kreaturen einfangen und analysieren.

Mittlerweile hat man fremde Planeten entdeckt, die völlig frei durchs All treiben. Offenbar wurden sie ihrem Mutterstern vor langer Zeit entrissen. Selbst auf diesen einsamen und in ewiger Finsternis gefangenen Welten wäre Leben vorstellbar, und zwar wieder unter einer dicken Eiskruste. Wie viele solche "Waisenkinder" es in der Milchstraße gibt, weiß niemand. Schätzungen zufolge könnten sie sogar zahlreicher sein als jene Planeten, die um lichtspendende Sterne kreisen.

Irdische Lebewesen haben die Zusammensetzung der Lufthülle verändert. Geschöpfe auf anderen Welten mögen es ihnen gleich tun. Um Indizien für Leben außerhalb unseres Sonnensystems zu entdecken, bedient man sich der Spektralanalyse und fahndet in fremden Planetenatmosphären nach Bioindikatoren. Leben im Untergrund entzöge sich dieser Suche wahrscheinlich.

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien und schreibt seit 1991 über astronomische Themen im "extra".

--> www.himmelszelt.at

Wiener Zeitung, Sa./So., 7./8. September 2013


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