Das Stift Klosterneuburg, seine Symbolik und seine Schätze #
Alle Fotos © Peter Diem, außer gesondert angegeben
Inhaltsverzeichnis
- Das Stift Klosterneuburg, seine Symbolik und seine Schätze
- Die Schleierlegende
- Leopold III., der Heilige, Gründer von Klosterneuburg
- Die Schädelreliquie und der österreichische Erzherzogshut
- Das Programm des österreichischen Erzherzogshutes
- Die Erbhuldigung
- Das weitere Schicksal des Erzherzogshutes
- Kostbare Messgewänder in der Schatzkammer
- Der Verduner Altar
- Die Tafelbilder
- Die Glasfenster
- Die Stiftskirche
- Der Babenberger Stammbaum
- Der Kaisertrakt
- Näheres über Leopold III. den Heiligen
- Weiterführendes
Leopold III.(1075-1136 s.u.) errichtete eine großzügige Burganlage in Klosterneuburg, nicht etwa auf dem Leopoldsberg, wie die Legende berichtet, sondern vielmehr in der Gegend der heutigen Albrechtsbergergasse, wo im Haus Nr. 4 noch Überreste davon zu finden sind. Der Bau der Residenz konnte wahrscheinlich an ein von den Römern angelegtes Kastell anschließen. 1114 legte Leopold den Grundstein zur Stiftskirche von Klosterneuburg. Die romanische Basilika war damals eine der größten Kirchen des Landes. Sie wurde schließlich am 29. September 1136, wenige Wochen vor dem Tod des Markgrafen, feierlich eingeweiht. All die Jahrhunderte danach wurde an ihr weitergebaut, und erst 1887 erhielten die beiden Westtürme durch Friedrich Schmidt, den Rathausbaumeister von Wien, ihre heutige, neugotische Gestalt. 1133 berief Leopold Augustiner-Chorherren nach Klosterneuburg. Zur gleichen Zeit gründete er das Zisterzienserstift Heiligenkreuz und dotierte es reichlich.
Zusammenfassende Chronik und Geschichte des Stiftes
Die Schleierlegende#
Nach der Gründungslegende des Stiftes habe ein Windstoß den Schleier der frisch angetrauten Agnes auf dem Söller der Burg am Kahlenberg (!) erfasst und verweht. Neun Jahre später hätten ihn die Jagdhunde in den Donauauen an einem Holunderstrauch entdeckt. Dem Markgrafen sei sodann die Gottesmutter erschienen und habe ihm befohlen, an dieser Stelle ihr zu Ehren ein Kloster zu errichten. Man erinnert sich gerne an diese Legende, wenn man den heute im Brunnenhaus des Stiftes aufgestellten, in Verona aus Bronze gegossenen siebenarmigen Leuchter bewundert, der aus der Gründungszeit der Kirche stammt und schon im Mittelalter „Holunderbaum" (Sambucus) genannt wurde. Von diesem Leuchter wird auch erzählt, dass er Holzstücke von jenem Holunderstrauch enthalte, an dem der Markgraf den Schleier seiner Gattin aufgefunden habe. In der Tat enthielt der Leuchter einen Kern aus blau bemaltem Holunderholz. Dieser wurde aber erst im 17. Jahrhundert eingesetzt, um als Kontrast für die durchbrochene Bronzearbeit zu dienen. Die legendenhafte Beschreibung dürfte vor allem auf die baumartige Form des übermannshohen Leuchters zurückgehen. In den Boden unmittelbar vor den Stufen zum Chor der Stiftskirche ist ein Stein mit der Inschrift "Sambucus" eingelassen, womit die Stiftskirche sozusagen "verortet" wird.
Zur "Schleierlegende" vergleiche den Essay über die Ausstellung 2013 im n.ö. Landesmuseum St. Pölten "Schleierfahndung
Wie Floridus Röhrig ausführt (in: Stift Klosterneuburg, 59), handelt es sich bei der Baumform des Leuchters wohl um die theologische Umdeutung der jüdischen Menorah im Sinne von Jesaja 11 („Wurzel Jesse"). Gleichfalls aus der Zeit um 1100 stammen zwei je etwa eine Elle lange Stücke orientalischen Seidenschleiers, die in einem aus Alabasterfragmenten zusammengesetzten Altärchen (ursprünglich 14. Jahrhundert) in der Schatzkammer des Stiftes aufbewahrt werden. In den „Klosterneuburger Tafeln" werden sie als Teil vom Gewand der Gottesmutter beschrieben, andererseits gelten sie als Teil des berühmten Schleiers der Gattin Leopolds III., Agnes.
Heide Dienst, Agnes: Herzogin, Gräfin, Landesmutter. In: Röhrig/Stangler, a. a. O., 24 f.
Leopold III., der Heilige, Gründer von Klosterneuburg
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Im Anschluss an die Überlegungen von Heide Dienst, die im Aussehen des blühenden Holunderbaumes selbst den Ursprung der Schleierlegende sieht, sei ein kurzer Exkurs über die Symbolkraft des Holunders, dieses bescheidenen, in unserer Heimat weit verbreiteten Strauch- oder baumartigen Gewächses gestattet. Er soll zeigen, dass die für (Nieder-)Österreich nicht unwichtige Legende von der Gründung Klosterneuburgs unbewusst auf ein altes Sinnbild, ein von Aberglauben umranktes Ursymbol, zurückgreift. Schon in der Antike als Heilpflanze gebraucht, galt das Berühren des Holunders als Möglichkeit, eine Krankheit loszuwerden. Da der „Holler" als Mittel gegen Hexen und Zauberer angesehen wurde, durfte der Baum nicht gefällt werden. Umgekehrt war aber der „Hollerbusch" dem guten Christen auch nicht ganz geheuer, da sich angeblich Judas an einem Holunderbaum erhängt hat. Nach manchen Versionen der Legende soll auch der hl. Koloman an einem Holunderbaum gehängt worden sein. Bezeichnend für die jahrhundertealte antijüdische Tradition des katholischen Österreich war die im hohen Mittelalter verbreitete Ansicht, der wie ein Schleier blühende Holunderbaum sei ein Symbol für die aus dem gleichen Stamme kommenden Christen und Juden, da seine Blüten süß dufteten (Christen) und seine Blätter bitter schmeckten (Juden). Ein ziemlicher „Holler", der hier über den Holunder verzapft wurde...Die Verehrung des „milden Markgrafen" nach seinem Tod entwickelte sich zunächst aus der Frömmigkeit des einfachen Volkes. Doch Rudolf IV., der Stifter, der zusätzlich zu seinen politisch-historischen Bemühungen um Gleichstellung mit den führenden Kräften des Reiches nach einem „Nationalheiligen" zur „überirdischen" Legitimation seiner Herrschaft suchte, betrieb die Kanonisierung seines markgräflichen „Urahnen" auf systematische Weise. Der 1358 eröffnete Prozess wurde allerdings erst unter einem weiteren „Österreich-Ideologen", nämlich unter Friedrich III., 1465 weitergeführt und durch die feierliche Erhebung Leopolds zur Ehre der Altäre am 6. Jänner 1485 durch den Papst Innozenz VIII. abgeschlossen. (Die Wahl des Dreikönigstages sollte andeuten, dass Leopold ebenfalls im Rang eines Königs stand.) Die Überreste des ursprünglich in einer Gruft unter dem Kapitelsaal zusammen mit seiner Frau Agnes und seinem ältesten Sohn Adalbert zur letzten Ruhe gebetteten Heiligen wurden in der Folge als Reliquien exhumiert. Die „Translation" oder „Erhebung" des Heiligen wurde im Rahmen eines großartigen Festes am 15. Februar 1506 im Beisein von Kaiser Maximilian I. gefeiert. Dieser war in Erzherzogskleidung erschienen, mit dem „Erzherzogshuetel" auf dem Kopf, in der Hand ein rot-weiß-rotes Windlicht. Damit wollte er sich eindeutig als Nachfolger des hl. Leopold deklarieren.
Die Reliquien des Heiligen wurden zum größten Teil in einem Silbersarg geborgen, der allerdings schon 1526 als Beitrag zur Finanzierung der Türkenkriege eingeschmolzen werden musste. Ein neuer Silberschrein erlitt 1810 ein ähnliches Schicksal. Heute befinden sich die sterblichen Überreste des Heiligen in einem kleinen, vergoldeten Silberschrein aus dem Jahre 1936, vorne verziert mit dem bekannten Standbild Leopolds: die Fahne seines Landes in der Rechten, ein Modell der Stiftskirche in der Linken haltend. Das Stift hatte die Umbettung aus Anlass der 800-Jahr-Feier der Kirche (29. September) veranlasst, weil die Gebeine Leopolds damals nur in einem Holzsarg ruhten. Der neue Reliquienschrein wurde am 13. November 1936 eingeweiht. Er steht - wie schon der Holzsarg zuvor - auf dem weltberühmten „ er Altar", dem kostbarsten Schatz des Stiftes Klosterneuburg. Die obere Schädelpartie des Heiligen ruht hingegen in der Schatzkammer des Stiftes in einer kostbaren Einfassung aus Stoff, durch welche allein das Stirnbein sichtbar ist. Sie wird von einer Nachbildung des Erzherzogshutes, ebenfalls aus Stoff, gekrönt. Wie wir einleitend zitiert haben, proklamierte Kaiser Leopold I. (1658-1705) ein Jahr vor seinem Sieg über die Türken bei Mogersdorf (1664) seinen Namenspatron, Leopold den Heiligen, zum offiziellen österreichischen Schutzheiligen. Dieser Sieg und die Befreiung Wiens 1683 wurden auf die Fürbitten des neuen Landespatrons zurückgeführt, was dessen Verehrung enorm förderte. Auch Joseph II., der später nicht nur Klöster, sondern auch Feiertage aufhob, tastete „den Tag des heiligen Leopold als sonderbar zu verehrenden österreichischen Landespatron" nicht an.
Die Schädelreliquie und der österreichische Erzherzogshut#
Das heute noch erhaltene und im eigentlichen Sinne als „österreichischer" Erzherzogshut bezeichnete Insigne wurde erst am 15.11.1616 von Erzherzog Maximilian III., dem Hochmeister des Deutschen Ordens und Landesfürsten von Tirol, zwei Jahre vor seinem Tod als Weihegabe bzw. als Bekrönung der Schädelreliquie Leopolds III. gestiftet. Er wurde in einer süddeutschen oder Innsbrucker Werkstatt gefertigt und ist nach dem Vorbild des Tiroler Erzherzogshutes etwas kostbarer gestaltet als frühere (erz-)herzogliche Kopfbedeckungen, die sich die österreichischen Herrscher seit Rudolf IV. anfertigen ließen. Vor der Übergabe des Erzherzogshutes küsste Maximilian die Schädelreliquie des Heiligen und krönte sie mit dem Erzherzogshut. Damit wurden der sakrale Charakter des Hutes unterstrichen und die Heilkräfte der Reliquie auf die Herrscherkrone übertragen. Auf dem Umweg über den Erzherzogshut wurden dann die Kräfte des Landesheiligen - nach der Vorstellung früherer Jahrhunderte - auch auf jeden neuen Landesfürsten übertragen, sobald er dieses Insigne beim Akt der Erbhuldigung aufsetzte.
Nach dem Willen des Stifters sollte mit diesem Erzherzogshut also eine „heilige Landeskrone" nach dem Vorbild der ungarischen Stephans- und der böhmischen Wenzelskrone geschaffen werden. Die Idee der „heiligen Krone" beruht auf der Vorstellung vom „rex perpetuus", vom heiligen Herrscher, der noch aus dem Jenseits seine schirmende Hand über sein Volk hält. Besonders ausgeprägt ist diese Idee u.a. beim hl. Stephan, dem Schutzpatron Ungarns, und beim hl. Olaf, dem Schutzheiligen Norwegens. Der norwegische König Olaf wurde nach der Schlacht von Stiklestad 1030 mit einer Axt erschlagen; noch heute hält der norwegische Wappenlöwe die Olafs-Axt in den Pranken. Die Reliquien des „rex perpetuus Norwegiae" mussten deshalb bei jeder Königswahl zugegen sein. So steht auch hinter der Weihegabe Maximilians III. in wechselvoller Zeit die Absicht, dem österreichischen „marchio perpetuus", dem hl. Leopold, zu huldigen und die Verbindung zwischen ihm und seinem Volk herzustellen. Auch in der frühen Neuzeit brachte ja ein Nationalheiliger seinem Volk Ansehen und Identität.
Das Programm des österreichischen Erzherzogshutes#
Der Erzherzogshut besteht aus einer roten Samthaube, um die ein von einem Hermelinkranz weitgehend verdecktes Diadem von acht goldenen, mit Rubinen, Smaragden, Diamanten und Perlen besetzten und gleich großen Zacken gelegt ist. Zwei einander im rechten Winkel kreuzende und damit noch mehr dem Typus „Königskrone" angenäherte Bügel (die früheren Erzherzogshüte hatten nur einen Bügel!) sind mit genau 100 Perlen in Goldfiligranfassungen besetzt.
An der Spitze der Krone steht ein Kreuzchen als Symbol der weltbeherrschenden Macht des christlichen Glaubens. In den Zwickeln des Kreuzchens sitzen vier Perlen, an den Enden Rubine und ein Smaragd. Das Kreuz krönt einen ansehnlichen blaue Saphir von ungewöhnlicher Reinheit. Er symbolisiert die Erdkugel und soll aus Kaschmir oder Kambodscha stammen. Dieser Saphir am Zusammenstoß der beiden goldenen Bügel erinnert an prominenteste Edelsteine in den Kronen der deutschen, österreichischen, ungarischen und böhmischen Machtbereiche - allesamt Saphire:
- In der um die Jahrtausendwende entstandenen Reichskrone befindet sich seit dem 14. Jahrhundert ein großer, auf der Spitze stehender herzförmiger Saphir, der den ursprünglichen „Waisen" (vermutlich ein Edelopal) als „Leitstern" ersetzte.
- Die aus dem späten 12. Jahrhundert stammende hl. Stephanskrone der Ungarn trägt in der Mitte ihres byzantinischen Reifs einen großen lichtblauen, dreieckigen Saphir, der mit der Spitze nach oben weist.
- Gegen Mitte des 14. Jahrhunderts wurde die endgültige Form der St. Wenzelskrone geschaffen. Sie zeigt einen großen fünfeckigen Saphir an zentraler Stelle, insgesamt trägt sie achtzehn Saphire. Der oberste Stein der Krone ist ein kleiner Saphir an der Spitze des Kreuzes.
- Die österreichische Kaiserkrone (Prag, 1602) trägt einen über dem Kreuz angeordneten großen Saphir. Das zur Krone gehörige, aber etwas später angefertigte Zepter aus Narwalhorn und der Reichsapfel (beide um 1615) werden ebenfalls von Saphiren gekrönt. Diese Anordnung ist weltweit einmnalig.
Wie man sieht, hatte der Schöpfer des Erzherzogshutes ein klares Programm vor Augen: Österreich durch ein den wichtigsten Kronen der damaligen Zeit nachempfundenes Herrschaftssymbol so weit wie möglich aufzuwerten. Als Symbol der österreichischen Kernlande gegenüber den Kronen des Reiches, Böhmens und Ungarns vereinigt der Erzherzogshut in sich die Zeichen des römischen Kaiser- und Königtums, Bügel und Kreuz, und die Zeichen des Fürstentums, Hut und Zackenkranz. Der unbekannte Meister muss die genannten Kronen genau gekannt haben. Die Anlehnung an die Krone Rudolfs II. ist überdeutlich: acht perlengekrönte Zacken mit rechteckig gefassten Diamanten, der Rubin über der Stirne sowie zwei mit Perlen und Diamanten besetzte Bügel. Feinfühlig, aber mit Raffinesse, wird der die Verwandtschaft mit den Prager Kaiserinsignien betonende goldgefasste Saphir nicht an die oberste Spitze gesetzt, sondern wird noch von einem Kreuzchen überragt, dessen Rubin-Perlen-Kombination jedoch wieder ein kleiner Saphir krönt. Insgesamt ergibt sich so ein harmonisch wirkender, nicht aufdringlicher, aber dennoch königlicher Wurf. Bemerkenswert ist auch, dass die großen Edelsteine (der Saphir an der Spitze und die Rubine und Smaragde an den Zacken) mittelalterliche Schliffe des 14. Jahrhunderts aufweisen, während die Diamanten und die kleineren Steine zeitgenössischen barocken Schliff zeigen. Damit sollte angedeutet werden, dass die Erzherzogswürde selbst viel älter ist als die erst 1616 hergestellte Krone. Die Smaragde stammen höchstwahrscheinlich aus Kolumbien
Am Sockel aus Ebenholz befindet sich ein emailliertes goldenes Wappen Maximilians III., das von der 1810 im Rahmen der Silberablieferung eingeschmolzenen Reliquienbüste des heiligen Leopold stammt.
Die Erbhuldigung#
Der Erzherzogshut musste an der Begräbnisstätte des heiligmäßigen Markgrafen aufbewahrt werden und durfte - gemäß päpstlicher Bestätigung - nur zur Erbhuldigung bzw. zur Lehensvergabe auf höchstens dreißig Tage aus dem Stift entliehen werden. Dies geschah zwischen 1620 und 1835 insgesamt zehnmal. Die Erbhuldigung fungierte in den habsburgischen Erblanden, von denen ja nur Böhmen ein Königtum war, in gewisser Weise als Ersatz für die Krönung. Staatsrechtlich war sie ein Vertrag zwischen Herrscher und Ständen, in welchem diese sich gegen Bestätigung ihrer alten Privilegien zur Gefolgschaft verpflichteten. Die Erbhuldigungen fanden nach einem strengen Zeremoniell statt, in welchem eine Reihe von Insignien, Herolds- und Oberst-Erblandämtern eine Rolle spielten. Der Klosterneuburger Propst als Bewahrer des Erzherzogshutes führte den Titel eines „Diadematis Austriaci custos".Das weitere Schicksal des Erzherzogshutes#
Im ausgehenden 17. und im 18. Jahrhundert wurden fast jedes Jahr „Staatswallfahrten" abgehalten, in welchen das Kaiserpaar am 14. November aus Wien anreiste, um vor den ausgestellten Reliquien und Weihegaben seine Andacht zu verrichten. Die Predigten für den hl. Leopold waren dabei immer auch Predigten für Österreich, bis hin zur verbalen Apotheose des Hauses Österreich, vergleichbar der Symbolik des barocken Deckenfreskos „Die Glorie des Hauses Österreich" von Daniel Gran im Marmorsaal des Stiftes (1749). Sie bildeten gewissermaßen rhetorische „Übergangszonen des Irdischen zum Himmlischen" (_Eva Kovacs), reich verbrämt mit Bildern aus der Heraldik des Bindenschildes, des Fünfadlerwappens und den zahlreichen Interpretationen des „AEIOU". Ein Hauch dieser staatskirchlichen Tradition hat sich in der noch heute stattfindenden Wiener Männerwallfahrt erhalten, in der alljährlich zum hl. Leopold um Schutz für Volk und Land gebetet wird. Unter Maria Theresia, deren Reformeifer sie, wenn schon, dann nach „ächten" Symbolen Ausschau hielten ließ, wurde auf den Erzherzogshut Rudolfs IV. zurückgegriffen, wodurch dem jüngeren Klosterneuburger Kleinod nur mehr die Rolle einer „Reliquienkrone" zugebilligt wurde. Beinahe hätte man einen neuen, einen „theresianischen" Erzherzogshut anfertigen lassen. Der Tod Maria Theresias machte solche Pläne jedoch zunichte. An ihrem Grabmal in der Kapuzinergruft findet sich demgemäß der "ächte" Erzherzogshut und nicht das "Häubl". Kaiser Joseph II., der in seinem reformerischen Überschwang die Bedeutung der Länder zurückdrängen wollte - und bekanntermaßen Staatssymbole ohnedies für antiquiert und daher überflüssig hielt -, ließ den kostbaren Hut 1784 in die Schatzkammer nach Wien bringen, wo er das Exil mit Stephans- und Wenzelskrone teilte. Übrigens war der Erzherzogshut - wie andere Kronen auch - vor herannahenden Feinden oft in Sicherheit gebracht worden und hatte u. a. Passau, Prag, Pressburg, Ungarn und sogar Galizien kennengelernt; er war also fast so reisefreudig wie die Hl. Stephanskrone gewesen (s.d.). Schon wenige Wochen nach dem Tod Josephs II. wurde das Kleinod 1790 mit allen Begleiterscheinungen eines Volksfestes nach Klosterneuburg zurückgebracht.
Als traditionelles Symbol österreichischer Eigenart und Eigenständigkeit hat der Erzherzogshut nachdem er vom niederösterreichischen Landeswappen 1918/20 demontiert wurde, seine heraldische Bedeutung dadurch behalten, dass er bis heute den Wappenschild Oberösterreichs schmückt, wie man an jedem oberösterreichischen Kfz-Kennzeichen sehen kann.
Kostbare Messgewänder in der Schatzkammer#
[*]Der Verduner Altar#
Der Flügelaltar gilt als das am besten erhaltene Kunstwerk des europäischen Mittelalters. Ursprünglich bildete es den Schmuck der Kanzelbrüstung in der Stiftskirche, wie aus einem instruktiven Film über den Verduner Altar und die Zellschmelztechnik, der bei Stiftsführungen gezeigt wird, hervorgeht (Bild oben). Nach einem Brand im Jahre 1330 wurde das Werk zum Flügelaltar umgebaut und erhielt seine heutige Form (Anfertigung von sechs neuen Tafeln). Die 51 goldenen Bildtafeln (Gruben- und Zellschmelz auf vergoldetem Kupfer) wurden 1181 durch Nikolaus von Verdun nach rund zehnjähriger Arbeit an Ort und Stelle vollendet. Der Altar, der in seinen geistigen Wurzeln bis in die Zeit des Klostergründers zurückreicht, teilt die dargestellten biblischen Szenen in Zeitzonen (waagrecht) und typologische Gruppen (senkrecht).
Die Tafeln waren ursprünglich für die Verkleidung eines steinernen Aufsatzes mit Lesepult verwendet worden, . Die Tafeln stellen Szenen aus dem Alten oder Neuen Testament dar. Die unterste Reihe zeigt Motive aus der Zeit vor der Verkündigung des Gesetzes an Moses (Ante Legem). Die Szenen aus der Lebensgeschichte Christi (Sub Gratia) sind in der mittleren Reihe angeordnet. Die Geschehnisse vor der Ankunft Jesu (Sub Lege) stehen in der untersten Reihe. Es gehören immer drei übereinanderstehnde Tafeln zusammen, denen dieselbe Symbolik zugrunde liegt. Auch die im 14. Jahrhundert entstandenen Platten folgen dieser Symbolik. Bei den Platten ganz rechts wird diese Gegenüberstellung allerdings aufgegeben, sie enthalten eine Darstellung der Letzten Dinge.
Die Tafelbilder#
Die Rückseite (nach mancher Ansicht auch Vorderseite) des Altars zeigt vier große Temperabilder. Es sind dies die ältesten datierbaren Tafelbilder Österreichs (1331).
Die Glasfenster#
Diese Glasfenster befinden sich rechts und links vom Verduner Altar im ehemaligen Kapitelsaal. Auf dem linken wird Markgraf Leopold als jugendlicher Fürst mit dem Kirchenmodell dargestellt, das den ursprünglichen Vierungsturm zeigt. Markgräfing Agnes trägt zum Zeichen ihrer kaierlichen Abkunft eine Krone über dem Schleier.
Die Stiftskirche#
Die Stifts- und Pfarrkirche Unsere Liebe Frau (1114-36) geht auf eine romanische Basilika im gebundenen System (im Chorbereich erhalten)zurück. Sie erhielt gotische und spätgotische Umbauten (Westfassade bis 1592). Im Frühbarock (1634-45) wurden die Seitenschiffe in Kapellen umgewandelt. Hochbarocke Freskenausstattung von J. M. Rottmayr und Stuckaturen von S. Bussi (1680-1723). Das Presbyterium wurde zwischen 1723 und 1730 barockisiert, weitgehende Restaurierung des Außenbaus im 19. Jahrhundert unter F. von Schmidt (neugotisch ergänzte Westtürme), Seitenaltäre um 1700 (mit Gemälden von P. Strudel und Plastiken der Gebrüder Spät), prachtvolles Chorgestühl (1723) von M. Steinl, barocke Festorgel von J. G. Freundt (1636-42).
Das Deckengemälde zeigt die Gottesmutter auf der Mondsichel als Siegerin über die Türken. Das dunkle Chorgestühl ist mit den Wappen der von Karl VI. beherrschten Gebiete verziert.
Wappen Chor links 1: Tirol - Habsburg - Schlesien - Kärnten - Lombardei
Wappen Chor links 2: Vorlande - Bosnien - Dalmatien - Ungarn (alt und neu) - Anjou
Wappen Chor rechts 1: Sizilien - Ungarn/Böhmen geviert - Kroatien - Serbien - Geldern
Wappen Chor rechts 2: Steiermark - Krain - Mähren - ? - Görz u Gradisca
Der Babenberger Stammbaum#
Das riesige Gemälde wurde vom Stift Klosterneuburg nach der Heiligsprechung Leopolds III. im Jahr 1485 in Auftrag gegeben, um dem Volk den neuen Landesheiligen nahe zu bringen und es zugleich mit seiner Familiengeschichte vertraut zu machen. Es wurde 1489-92 von Hans Part und anderen gemalt. Die Rundbilder im Mittelteil (344 x 405 cm) zeigen jeden männlichen Vertreter der Dynastie in einer typischen Szene seines Lebens (darin enthalten sind zahlreiche historisch wertvolle Stadtansichten). Auf den Seitenflügeln (je 344 x 202 cm)befinden sich die Porträts der Ehefrauen und Töchter.
Bild links: Babenberger-Stammbaum mit Szenen aus dem Leben aller männlichen Babenberger
Bild Mitte links: Babenberger-Stammbaum: rechter Flügel mit Porträts der Frauen der Babenberger. In der linken Bildhälfte: Markgräfin Agnes mit einem Modell der Stiftskirche Klosterneuburg
Bild Mitte rechts: Markgraf Leopold III., der Heilige, mit zwei seiner Söhne, die noch im Kindesalter starben. Hinter dem Heiligen sind seine Klostergründungen zu sehen. Von rechts nach links: 1) Stift Kleinmariazell: die beiden Mönche davor wurden verwechselt - sie sind Zisterzienser im weißen Habit und gehören nach Heiligenkreuz 2) Stift Klosterneuburg 3) Stift Heiligenkreuz: mit den schwarzgekleideten Benediktinern, die nach Kleinmariazell gehören.
Bild rechts: Herzog Leopold VI., der Glorreiche. Er vermittelt 1230 den Frieden von San Germano zwischen Kaiser Friedrich II. und Papst Gregor IX. Im Hintergrund steht der Herzog mit einem irrtümlich schwarz gekleideten Zisterzienser vor dem Stift Lilienfeld. Die Stadt soll Wiener Neustadt darstellen, das von Leopold ausgebaut wurde.
F. Röhrig, Der Babenberger-Stammbaum im Stift Klosterneuburg, 1977.
Der Kaisertrakt #
Karl VI. (1685-1740) wollte Klosterneuburg zu einer gigantischen Klosterresidenz („österreichischer Escorial") ausbauen, doch kam es nur zur Errichtung des Nordostteils. Nach dem Tod Karls VI. wurde der Bau bald eingestellt. Erst 1834 bis 1842 konnte wenigstens ein Viertel der geplanten Anlage durch den Architekten Joseph Kornhäusel vollendet werden. So gibt es heute nur einen der vier geplanten Höfe, und nur zwei Kuppeln statt der geplanten neun konnten verwirklicht werden. Die beiden Kuppeln werden durch gewaltige, maßstabgetreue Nachbildungen von Reichskrone und Erzherzogshut gekrönt, um auch in der Architektur bzw. im plastischen Schmuck auf die Zusammenhänge Kaiser - Erzherzog - Klosterneuburg hinzuweisen.
Der damals schon berühmte Freskenmaler Daniel Gran schuf das Kuppelfresko des Marmorsaals im Jahre 1749 als eines seiner letzten großen Werke. Das ausgezeichnet erhaltene, niemals restaurierte Fresko zeigt zwar noch die barocke Farbenpalette Grans, bereitet aber in der Komposition bereits den Klassizismus vor. Die Architekturmalerei schuf Domenico Francia erst 1756.
In der Mitte ist auf einem Obelisken die Apotheose des hl. Leopold dargestellt. Ein über dem Obelisken schwebender Sternenkranz bedeutet seinen himmlischen Ruhm. Die österreichische Huldigung zur Rechten des Obelisken streut Weihrauch auf einen Opferaltar. Gegenüber hält die Freigebigkeit in der einen Hand das Kirchenmodell, in der anderen ein üppiges Füllhorn als Symbol der Freigebigkeit des hl. Leopold. Hunde, Schleier und Holunderbaum aus der Gründungssage werden darüber durch Genien in der Luft getragen. Ganz rechts von der Mittelgruppe ist auf einem Polster der Erzherzogshut zu sehen. Daneben hält ein Putto einen großen Schlüssel zum Zeichen dafür, daß dieses Kleinod hier im Stift verwahrt wird. Die Gruppe rechts vom Zentrum des Freskos bedeutet die österreichische Tapferkeit im Bilde Herzog Leopolds V., die nach der Legende die Ursache für die Verleihung des rot-weiß-roten Bindenschildes ist.
Unterhalb der Mittelgruppe thront die "Österreichische Majestät". Hinter ihr steht ein Herold mit der österreichischen Fahne (nach Daniel Gran bedeutet das die Verleihung Österreichs an das Haus Habsburg im Jahre 1282). Der österreichischen Majestät huldigen mit ihren Kronen und Wappen das Römische Reich, Ungarn und Böhmen. Links von der Mittelgruppe hat Gran die österreichische Klugheit und Standhaftigkeit dargestellt, die alle feindlichen Kräfte zu überwinden weiß. Rechts unterhalb der Mittelgruppe werden die verschiedenen Künste und Wissenschaften dargestellt, die in Österreich blühen. Auf der gegenüberliegenden Seite, über dem Hauptportal, hat Gran die Vermählung der Häuser Lothringen und Habsburg dargestellt. Amor zwischen beiden Figuren deutet an, daß die Hochzeit Maria Theresias mit Franz Stephan von Lothringen eine Liebesheirat war, Hymen hält seine Fackel darüber, die Brautleute reichen einander ein Herz, aus dem ein Doppelzweig aufsprießt, das Haus Habsburg-Lothringen. Links davon hält Fortuna ein Füllhorn, aus welchem kleine Kinder hervorlugen — ein Hinweis auf den reichen Kindersegen des Kaiserpaares. Noch weiter links schleudert der göttliche Beistand drei häßliche Harpyien in den Abgrund, die Maria Theresia das Erbe streitig machen wollen (im Klartext: Preußen, Bayern und Frankreich). Die vier großen allegorischen Figuren zwischen den ovalen Fenstern bedeuten die Produkte, die Österreich liefert: Getreide und Wein, Gartenfrüchte, Eisen und Wildbret.
Quelle: Niederösterreichische Landesausstellung, "Der Heilige Leopold", Katalog 1985.
Näheres über Leopold III. den Heiligen#
Leopold der Heilige, dritter Markgraf aus dem Geschlecht der Babenberger (Luitpoldinger), wurde um das Jahr 1075 - wahrscheinlich in Melk - geboren. Er dürfte jedoch seine Jugend in Gars am Kamp verlebt haben. Sein Vater, Leopold II., hatte schwer um das noch kleine österreichische Territorium zu kämpfen, da er sich im Investiturstreit auf die Seite des Papstes gestellt hatte und damit in Gegensatz zu Kaiser Heinrich IV. geraten war. Leopold übernahm die Herrschaft nach dem Tod seines Vaters im Jahre 1095. Er war damals etwa zwanzig Jahre alt. Im Gegensatz zu vielen anderen Landesfürsten vor und nach ihm lag ihm nichts an Eroberungsfeldzügen. Er weigerte sich, an Kreuzzügen teilzunehmen, da ihm die Sorge für sein Land als die wichtigste Pflicht erschien. Leopold, der oft sehr hart und zielstrebig - also nicht eben heiligmäßig - seine Landeshoheit durchsetzte, schreckte auch vor Verrat nicht zurück, wenn es ihm politisch nützte: Durch den Rückzug seiner Truppen in einem Streit zwischen Kaiser Heinrich IV. und dessen Sohn Heinrich V. am Fluss Regen 1105 gewann er die Hand der salischen Kaisertochter Agnes - eine für die weitere Entwicklung Österreichs entscheidende Hochzeit. Die bereits verwitwete Agnes (ihr Sohn war der spätere König Konrad III.) brachte nicht nur eine ansehnliche Mitgift ein, sondern ließ den Markgrafen aus Ostarrichi auch als Stiefvater der Staufer unter die ersten Fürsten des Reiches aufrücken. Agnes wird aus diesem Grund gerne mit dem Reichsadler dargestellt, so über dem Südeingang der Stiftskirche in Klosterneuburg. Die Babenberger hatten in dieser Zeit ihren Hauptsitz immer mehr nach Osten verschoben, von Melk über Gars nach Tulln.Als erster wirklicher Vertreter eines Landesfürstentums („principatus terrae") hat Leopold wesentlich zur Ausbildung österreichischer Identität und österreichischen Landesbewusstseins beigetragen. Leopold III. ist deshalb keineswegs nur als religiöse Figur zu sehen. Er suchte in typisch österreichischer Art zwischen verfeindeten Fürsten zu vermitteln und half mit, den Investiturstreit im Wormser Konkordat 1122, das er mit unterzeichnete, zu beenden. Die ihm angetragene Königswürde lehnte er jedoch in weiser Einsicht in die tatsächliche Stärke seiner Herrschaft ab. Der großgewachsene Landesfürst hatte nicht weniger als achtzehn Kinder, die sich freilich nicht immer gut verstanden. Leopold III. starb am 15. November 1136, im Alter von etwa 61 Jahren, wahrscheinlich an den Folgen eines Jagdunfalls. Die Vermutung des bekannten Landeshistorikers Karl Gutkas, dass Leopold „keines natürlichen Todes gestorben sei", wird von Floridus Röhrig als „absurd" bezeichnet. 1936 wurde an der Schädelreliquie ein Bruch des Unterkiefers festgestellt. Mit der Jagd zu tun hat auch die berühmte Gründungslegende Klosterneuburgs (s.o.), die seit 1371 überliefert ist, aber laut Röhrig „nicht im mindesten der historischen Wahrheit entspricht".
Literatur:
Karl Gutkas, Geschichte des Landes Niederösterreich. 5. Aufl., St. Pölten 1974, 54, Röhrig/Stangler, a. a. O., 18.
Elisabeth Kovacs, Der Heilige Leopold und die Staatsmystik der Habsburger. In: Röhrig/Stangler, a. a. O., 73
Floridus Röhrig, in: Erläuterungen zur Sonderpostmarke „Markgraf Leopold der Heilige". Österreichische Post- und Telegraphendirektion., Wien, 1967
Floridus Rörig, Stift Klosterneuburg und seine Kunstschätze, St. Pölten, 1984
Der Heilige Leopold Katalog, Niederösterreichische Landesausstellung, 1985
Karl Holubar- Wolfgang Christian Huber, Die Krone des Landes, Klosterneuburg, 1996
Floridus Röhrig, Der Verduner Altar, Klosterneuburg, 2004
Siehe auch die Spezialbeiträge über die Schatzkammer und die Schleiermonstranz
Vgl. dazu auch einige Videos:
Klosterneuburg, Babenberger-Stammbaum, 1489-1492
Klosterneuburg: Verduner Altar, Grab des Markgrafen Leopold III., 1181
Klosterneuburg: Innenräume, adaptiert für Karl VI., 1730-55
Klosterneuburg: Verduner Altar, Grab des Markgrafen Leopold III., 1181
Weiterführendes#
- Philadelphy, U.: „Jedes Büchel erzählt eine Geschichte“ (Essay)
- Der Heilige Leopold - Eine populäre Darstellung im Stift Klosterneuburg (1985) (Essay)
- Stift Klosterneuburg - Seine Kunstschätze - Geschichte und Gegenwart (Essay von Zentner E.)
- Stift Klosterneuburg - Seine Kunstschätze - Geschichte und Gegenwart (Buch von Zentner E.)
Alle Fotos © P. Diem, außer anders angegeben, auch © Alfred Havlicek und das gemeinfreie Bild von Joseph Knapp.
Der Autor bedankt sich bei der Presseabteilung des Stiftes für die freundliche Unterstützung bei der Dokumentation.
Besuchszeiten des Stiftes Klosterneuburg: ganzjährig 9-18 Uhr