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Dem Betrachter von Leonardo da Vincis Mona Lisa erscheint heute dasselbe
Bildobjekt wie einem Betrachter vor 200 Jahren. Das Gleiche gilt für Bücher:
Dasselbe Buch kann zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten
in verschiedenen Ausgaben gelesen werden. Daher schlägt Wiesing vor, Geltung
als artifizielle Selbigkeit zu präzisieren (vgl. Wiesing 2005b: 157). Hierdurch werde
die charakteristische Erscheinungsweise von Medienprodukten beschrieben, die
Medien ermöglichen. Infolgedessen können Medien indirekt definiert werden,
als »die Werkzeuge, welche die Trennung von Genesis und Geltung ermöglichen«
(Wiesing 2005b: 154). Der prinzipielle Unterschied zwischen dem, was einem
intentionalen Bewusstsein durch Medien erscheint, und dem, was ihm in der
normalen Wahrnehmung erscheint, besteht in der Geltung. Durch Medien entsteht
artifizielle Selbigkeit, wobei Medienprodukte stets auch eine materielle Seite haben,
die der Genesis unterworfen ist. Insofern meint Trennung nicht die vollständige
Abtrennung von der Sphäre des Physischen oder Materiellen, sondern dass Medien-
produkte einerseits zwar in der Welt der Dinge existieren, aber andererseits etwas
zur Erscheinung bringen, was den Gesetzen der Physik nicht unterliegt (vgl. Wiesing
2005b: 157).44 Daran kann man Wiesing zufolge erkennen, was mit Begriffen wie
Speichermedien und Verbreitungsmedien gemeint ist: Speichermedien speichern
Geltung und Übertragungsmedien übertragen Geltung. Dies unterscheidet einen
Kühlschrank kategorial von einem Buch und einem Bild. Während Kühlschränke
den Alterungsprozess dessen, was in ihnen gelagert wird, nur verlangsamen, ent-
rücken Medien das, was in und mit ihnen zur Erscheinung kommt, der Zeit (vgl.
Wiesing 2005b: 158f.). Die Frage, wie diese Trennung von Genesis und Geltung
genau vonstatten geht, scheint Wiesing allerdings »unbeantwortbar« (Wiesing
2005b: 157), weshalb sich der Eindruck aufdrängt, dass die phänomenologische
zeichnete, unregelmäßige und ungenaue Figur dort im Sand zu sprechen, vielmehr
meine ich damit die ideale Form der Diagonalen und des Quadrats; ich eliminiere
alles Empirische, nehme der Argumentation jede Stofflichkeit. Indem ich das tue,
mache ich Wis senschaft möglich, sowohl was die Strenge als auch was die Wahr-
heit angeht, aber auch was das Universale betrifft, das Universelle an sich. Indem
ich das tue, beseitige ich alles, was die Form verdeckt: die Kakographie, den Lärm
und das Rauschen, und ich ermögliche eine Wissenschaft im Universellen für uns.
Die mathematische Form ist zugleich eine Universalie an sich und eine Universalie
für uns. Daraus ergibt sich, daß die erste Anstrengung, die Kommunikation inner-
halb eines Dialogs gelingen zu lassen, und die Anstrengung, eine Form unabhängig
von ihren empirischen Realisierungen zu machen, isomorph sind. Die empirischen
Realisierungen sind die Dritten der Form, ihre Störungen und ihr Rauschen« (Serres
1991: 53f.). Das Empirische kann mit Genesis gleichgesetzt werden, wohingegen
das Universelle den Aspekt der Geltung betrifft.
44 | Daher zieht Wiesing explizit die Möglichkeit in Betracht, dass Medien nicht
nur hinsichtlich der in ihnen realisierten Geltung untersucht werden können (vgl.
Wiesing 2005b: 160). Er führt dies jedoch nicht näher aus.
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Title
- Digitale Datenbanken
- Subtitle
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Author
- Marcus Burkhardt
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 392
- Category
- Informatik
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242