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Lebenserwartung (vgl. Rosling 2010).80 Gezeigt wird hierbei, dass die durch-
schnittliche Lebenserwartung von Menschen mit dem gesellschaftlichen Wohl-
standsniveau steigt. Die Visualisierung dieses Zusammenhangs in dem animierten
Blasendiagramm von Gapminder World macht dies auf einfache und evidente Weise
deutlich. Ob die Abhängigkeit der Lebenserwartung vom gesellschaftlichen Wohl-
stand hinsichtlich anderer Indikatoren zu relativieren ist, das kann man dem Dia-
gramm allein jedoch nicht entnehmen.
Das Erkunden von Informationsressourcen mithilfe von Visualisierungen und
die Kommunikation von Erkenntnissen durch Visualisierungen situiert diese in
unterschiedlichen medialen Praktiken. Ist das Erkenntnispotenzial der Information
Visualization in den Prozess der Visualisierung eingebettet – d.h. in den Prozess
der abduktiven Erstellung, deduktiven Ableitung und induktiven Überprüfung
von Visualisierungen, wie im Rekurs auf die peircesche Diagrammatik dargelegt
wurde – so basiert das kommunikative Potenzial auf dem Resultat dieses Prozesses,
nämlich der medialen Konstellation (Diagramm), dem eine bestimmte Gültigkeit
zugesprochen wird. Als Beleg für die Richtigkeit des dargestellten Zusammenhangs
ist ein Diagramm nicht hinreichend. Es bedarf, wie Mersch herausstellt, des sprach-
lichen Diskurses, der den Evidenzcharakter der Visualisierung begründet: »Das
Bild beglaubigt sich allein durch den Text, und Evidenz existiert nur, wo Gründe
gegeben sind, die sie als solche rechtfertigen« (Mersch 2005: 327).81
Aber dies wird beim kommunikativen Gebrauch von Informationsvisuali-
sierungen tendenziell verdeckt, wenn der Prozess der Information Visualization
nicht mitreflektiert wird. Dann scheint es, als könnten Visualisierungen selbst ver-
bürgen, dass die im Diagramm erscheinenden Zusammenhänge ein Korrelat in
der Wirklichkeit haben bzw. reale Sachverhalte adäquat abbilden. Hierin besteht
der suggestive Selbstevidenzcharakter technischer Bilder, welche vermeintlich »das
Ideal einer ›nichtintervenierenden‹ Objektivität« (Mersch 2005: 332) realisieren.
80 | Dieses Beispiel ist paradigmatisch, da es als Standardvisualisierung dient, die
beim Öffnen der Software Gapminder World angezeigt wird.
81 | Bereits in den 1980er Jahren hat der Bildwissenschaftler Ernst H. Gombrich
auf einen weiteren Aspekt der Beglaubigung wissenschaftlicher Bilder hingewiesen.
Seines Erachtens ermöglichen es technische Bilder, »eine Unzahl von Fragen zu
beantworten – allerdings immer unter der Voraussetzung, daß die technischen Spezi-
fikationen des Instruments, Vergrößerung, Auflösevermögen usw., genau bekannt
sind« (Gombrich 1984: 242). Gombrichs Fokus galt repräsentativen Bildern, aus
deren Darstellung man Eigenschaften über das dargestellte Objekt rekonstruieren
kann, sofern die Herstellungsbedingungen des Bildes bekannt sind. Gerade dies
erweist sich bei Informationsvisualisierungen problematisch, da das dargestellte
Objekt im Zuge der Visualisierung mitkonstituiert wird. Dennoch erweist sich das
Wissen über die angewandten Visualisierungsverfahren sowie über die zugrunde
gelegten Daten als notwendig, um Informationsvisualisierungen kritisch bewerten
zu können.
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Title
- Digitale Datenbanken
- Subtitle
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Author
- Marcus Burkhardt
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 392
- Category
- Informatik
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242