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Digitale
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zu bewahren;11 zweitens soll man davon absehen, die Unterschiede zwischen ver-
schiedenen Formen von Informationen durch Standardisierung zu nivellieren.
Vielmehr ist zu erkunden, wie die Heterogenität von Informationsbeständen für die
Nutzer erfahrbar gemacht werden kann (vgl. Bowker 2005: 183f.). Bedenkenswert
sind diese Vorschläge nicht nur für Wissenschaftsarchive im Besonderen, sondern
auch für digitale Archive im Allgemeinen. Wie in Bezug auf Websuchmaschinen
diskutiert wurde, stellt das Öffnen der Black Box Datenbank jedoch nicht immer
eine brauchbare Lösung dar. Durch die Offenlegung der genauen Funktionsweise
von Suchmaschinen wäre zwar Transparenz gewonnen, jedoch um den Preis von
deren Funktionalität. Gefunden würde dann in erster Linie und vielleicht sogar nur
das, was entsprechend der Rankingprinzipien der Suchmaschinenalgorithmen am
effektivsten optimiert wurde. Über Bowkers Vorschläge hinaus gilt es daher, weitere
Ansätze und Praktiken zu erkunden, die es erlauben, die Datenbank als Zentrum
des Diskurses zu dezentrieren.
erinnern unD vergessen: Digitale archive
Das komplexe Wechselspiel zwischen der Realität und dem Imaginärem digitaler
Datenbanken zeigt sich auch im Kontext digitaler Archivierungspraktiken sowie in
den Debatten über das digitale Gedächtnis. Auf der einen Seite scheint sich durch
die Verfügbarkeit immer leistungsfähigerer Computer und Speicher der Wunsch
nach einem perfekten Gedächtnis- und Archivierungsmedium erfüllen zu können,
den Paul Otlet bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gehegt hat: »[A]ll the writings
ought to be reduced by a form of disintegration and readjustment into the form of
files each conceived as chapters and paragraphs of a single universal book« (Union
of International Associations 1990 [1914]: 119). Verfolgten Otlet und sein Mitstreiter
Henri La Fontaine mit dem 1895 gegründeten Office International de Bibliographie
sowie dem Institut International de Bibliographie noch die Vision eines univer-
sellen Buchs, lassen es Datenbanktechnologien heute möglich erscheinen, nichts
mehr vergessen zu müssen (vgl. Christolova 2012).12 So arbeitet Gordon Bell seit
den 1990er Jahren an einem System, das Menschen die vollständige Archivierung
ihrer selbst erlaubt. Das Projekt MyLifeBits ist dabei zugleich ein Selbstversuch Bells,
die eigene Vergangenheit mithilfe digitaler Datenbanken möglichst umfassend zu
dokumentieren (Bell/Gemmell 2009; Gemmell et al. 2006; Gemmell et al. 2002).
Ein ähnliches Ziel verfolgt auch Facebook mit der 2011 eingeführten Profilansicht
11 | Bowker unterstreicht explizit, dass es nicht das Ziel sein sollte, den gesamten
Kontext partikularer Datenbanken zu bewahren, denn, so schreibt er, »a perfect
archival system is a chimera« (Bowker 2005: 183).
12 | Aus den gemeinsamen Anstrengungen von Otlet und La Fontaine ging das
Mundaneum hervor, in dem Christolova einen Vorläufer von Datenbanken und des
Internet erblickt (vgl. 2012: 35f.).
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Title
- Digitale Datenbanken
- Subtitle
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Author
- Marcus Burkhardt
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 392
- Category
- Informatik
Table of contents
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242