Page - 13 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
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Eine Künstlerfamilie 013
sef Hoffmann, der ein Schüler Otto Wagners war, und Koloman Moser, der bereits als
Gründungsmitglied der Wiener Secession fungiert hatte, sowie Fritz Wärndorfer als Fi-
nancier. Die künstlerische Richtung, die das Unternehmen verfolgte, wurde sowohl von
der Wiener Secession als auch von der Wiener Kunstgewerbeschule, der heutigen Uni-
versität für Angewandte Kunst, geprägt.
Für alle Bereiche der Wohn- und Lebenskultur, von der Architektur und Wohnungs-
einrichtung bis hin zum kleinsten Gebrauchsgegenstand, wurden Objekte in edlem De-
sign und mit höchster handwerklicher Gediegenheit gestaltet, wobei im Gegensatz zu
der von Frankreich und England beeinflussten dekorativ geschwungenen, floralen Ju-
gendstilornamentik eine schlichtere und einfachere, zum Teil geometrisch-abstrakte For-
mensprache kennzeichnend war. Wie sehr auch Rolf von den ästhetischen Prinzipien der
»Wiener Werkstätte« beeinflusst war, zeigt sich etwa bei seinem selbst entworfenen Ver-
lobungsring und beim Entwurf diverser Einrichtungsgegenstände, die er von der sehr
rasch auch international bekannten »Wiener Werkstätte« anfertigen ließ.
Doch auch in anderer Hinsicht haben sich die künstlerischen Laufbahnen von Re-
migius und Rolf inhaltlich verwoben und befruchtend ergänzt. Als vielseitiger Künstler
betätigte sich Remigius nämlich einmal sogar als Architekt. Während des Ersten Welt-
krieges an der Isonzofront im Italienkrieg eingesetzt, erstellte er im Jahr 1916 die Pläne
für eine Kirche zum Gedenken an die Gefallenen des österreichisch-ungarischen Hee-
res und entwarf auch den Großteil der Innenausstattung selbst. Die »Heiligengeistkir-
che« liegt an einer Felskante im Gebiet von Tolmin im heutigen Slowenien, wo die ers-
ten Isonzoschlachten stattfanden, und wurde binnen sechs Monaten von Kameraden
Remigius’ ausgeführt. Über einem massiven Steinsockel erheben sich Holzwände, an de-
ren Innenseiten Bretter von Munitionskisten angebracht sind, auf denen die Namen von
über 2.
800 Gefallenen des österreichisch-ungarischen Heeres eingebrannt wurden. Eine
großzügig angelegte Freitreppe, bestehend aus 78 Stufen, führt zum Eingang, über dem
sich ein Holzturm erhebt. Die Seitenfassaden waren zwischen den Fenstern mit Wap-
pen der österreichischen Länder geschmückt. (
Farbabb. 3 ) Der Kirchenraum ist einheit-
lich dekorativ bemalt und durch hölzerne Säulen in drei Schiffe gegliedert. Die Decke
ist kassettiert, der Altar, zu dem zwei von Remigius auf Leinwand gemalte Engelsfigu-
ren geleiten, ist im Secessionsstil bemalt. Sämtliche Holzteile des Gebäudes sind mit rei-
chen Kerbschnittmustern versehen.2
Diese Kirche ist nicht nur vom künstlerischen Standpunkt bemerkenswert. Beispiel-
los ist auch ihre Geschichte: Es ist kaum vorstellbar, wie diese relativ große Kirche –
sie übersteigt die Maße einer kleinen Gedächtniskapelle bei Weitem – sowie die auf-
2 Siehe: Der Architekt 1916, S. 85 f., Abb. 127–129
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273