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Kriegsgefangenschaft 100
20. Juni / 3. Aus zwei alten russischen Zeitungen versuchen wir etwas Russisch zu lernen;
Gekritzel an Tisch und Wand helfen uns auch. – Sonntagsstimmung –
21. Juni / 4. Vormittags eine Stunde vor dem Haus in der Sonne spazieren gegangen. Ver-
suche mit russischen Offizieren etwas zu verständigen. Fähnrich Hollitzer soll 5 Tage und
ich soll 10 Tage hier im Disziplinararrest verbleiben  !
22. Juni / 5. Wieder vormittags spazieren vor dem Haus. Kapitän kommt und erlaubt mir
die Anschaffung eines russisch-deutschen Lehrbuches. Abends ĂĽbersiedle in Nebenzim-
mer, das etwas kleiner, auf Bitten eines russischen Offiziers.
23. Juni / 6. Russ.-Deutsches Lehrbuch verweigert. Fähnrich Hollitzer wird um ½ 3h n.m.
abgeholt und aus dem Arrest entlassen. Nach Inschriften im Zimmer (  Lade 
) waren da
schon mehrere österreichische Offiziere.
24. Juni / 7. Tür ist nicht mehr versperrt  ! Eine weiße Katze leistet mir tags und nachts
häufig Gesellschaft. Das einzige Buch: »Der letzte Student« lese ich wiederholt, abwech-
selnd mit Fragmenten russischer Zeitungen (  um wenigstens die russ. Buchstaben einst-
weilen zu lernen. 
)
25., 26. Juni / 8., 9. Geht wie alle anderen Tage, trĂĽbselig und faul dahin. Vom Fenster aus
sieht man in den Hof, zwischen dessen hohen Mauern die Sträflinge spazieren gehen
dürfen (  stundenweise  ). Nur zwei schöne gesunde Laubbäume stehen in der Mitte des
Hofes, der einzige angenehme Eindruck außer dem Firmament; aber zwischen den Bäu-
men steht ein Galgen und die Bank, so ist auch der Eindruck vergällt. Aber die Sträflinge
sitzen um diese vertraute Vorrichtung herum, lehnen sich an und sind ganz vergnĂĽgt. Ist
der Hof still, so pendelt nur der Posten uhrwerksmäßig an meinem Fenster vorbei. Russi-
sche Zeitungen berichten, dass Lemberg wieder von österr.-deutschen Truppen besetzt
ist; die Offiziere hier schauen darob recht gedäftet drein.
27. Juni / 10. Wasche abwechselnd mein Hemd, Sacktuch und Socken, als Abwechs-
lung in der Trostlosigkeit. Nachmittags aus dem Arrest gefĂĽhrt, in eine Offiziersun-
terkunft; meine Kameraden, mit Ausnahme der Ă„rzte schon fort. Russ. Grammatik
und Lexikon gekauft.
28. Juni / 11. Im inneren Festungsbereich von Kiew hinter dem Wall ein ganz nettes StĂĽck
Garten zum Spazieren. Nachmittags einwaggoniert. 7 km Marsch zu einem Bahnhof au-
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273