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Kriegsgefangenschaft 110
tige Lieder von KĂĽmmel geleitet und manch ernstes Lied und Ansprache fĂĽllen bis 11h.
Schlafen gehen zur Polizeistunde. War recht lustig und angenehm.
8. Okt. Früh morgen beginnen nervöse schon zu packen; alle Strohsäcke werden im Hof
des Tartaren geschlachten, die Bettbretter, da das Holz ausgegangen war fĂĽrs letzte Mit-
tagessen verbrannt. Im 1. Stock brennen alle Lampen, um kein Petroleum zurĂĽckzulassen.
Eben erscheint die Idee alle irdenen Geschirre auf ulkige Weise zu zertrĂĽmmern, denn
um 4h sollten wir ja marschieren. Plötzlich kommt Starschi uns sagen, dass wir erst in ei-
nigen Tagen fahren. Jetzt wieder großes Auspacken, Stopfen der Strohsäcke, Sauberma-
chen der Zimmer. – Ich werde zum Polkovnik [  russ. Oberst  ] gerufen und bekomme die
von meiner Geldsendung zurĂĽck behaltenen 25 Rubel ausgefolgt.
9. Okt. Die deutschen Offiziere dürfen sich ebenfalls ihre Gradabzeichen wieder aufnä-
hen  !
10. Okt. Um 5h frĂĽh weckt man uns. Nach kurzen Vorbereitungen marschieren wir zum
Dampfer. Alle Quartiere von Tetjuschin sind versammelt, nur die Herren des slavischen
Quartiers und Hauptmann Ebenböh (  geborener Russe 
!  ) bleiben in Tetjuschi … Wunder-
bare, interessante Fahrt auf der Wolga, ĂĽber Simbirsk nach Samara, wo wir einige Nacht-
stunden stehen.
11.Okt. Noch schönerer Tag. Gegen 8h fahren wir von Samara ab. [  …  ] Schiff nur für uns,
Bewegungsfreiheit, Essen im Speisezimmer. Dies sind die ersten Tage seit der Gefangen-
nahme, in denen man sich wieder als Mensch fĂĽhlen darf. Und wir fĂĽrchten schon was
uns die folgenden Zeiten wieder bringen werden  ! Abend an in Süsra marschieren in die
Stadt ( 
5 km 
) wo wir in der Schule untergebracht werden. Miserable Holzbritschen in zwei
Lagen ĂĽbereinander. Viele Fenster zerbrochen. Schauderbarer Zustand.
Am folgenden Tag begegnet Rolf Italienern, wobei sich in seinem Tagebucheintrag
die ganze Animosität widerspiegelt, die sich mittlerweile zwischen der Doppelmon-
archie und Italien aufgebaut hat. Italien hatte sich im Dreibundvertrag von 1882 mit
Ă–sterreich-Ungarn und Deutschland verbĂĽndet und verhielt sich deshalb in den ers-
ten Kriegsmonaten neutral. Mit zunehmender Kriegsdauer mehrten sich allerdings die
Stimmen in Italien, den Dreibund zu verlassen und aufseiten der Entente in den Krieg
einzutreten. SchlieĂźlich forderte die politische FĂĽhrung Italiens als Bedingung zur Bei-
behaltung der Neutralität, dass große Gebiete der Donaumonarchie an Italien abzu-
treten seien. Trotz intensiver Verhandlungen und weitgehender Zugeständnisse, in
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273