Page - 111 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
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Die Jahre in Sibirien 111
denen sich Ă–sterreich-Ungarn zur Ăśberlassung unter anderem des gesamten Trenti-
nos, des von Italienern bewohnten Teils Tirols sowie des Isonzogebietes bereit erklär-
te, kam es zu keiner Einigung, weshalb am 23. Mai 1915 der Kriegseintritt Italiens auf-
seiten der Entente erfolgte.
12. Okt. Gegen 11h v.m. fĂĽhrt man uns einige Kilometer hinaus auf den Bahnhof, teure
Wagen für das Gepäck. Stehen lange an einer Rampe, da kommt ein Zug mit Italienern
(  österr. Soldaten  ) vorbei; bei unserer Ansicht hängen sie italienische Fahnen heraus, sin-
gen. Einige Offiziere aus der 2. Klasse gehen höhnisch vor uns spazieren, zwischen ei-
ner Gruppe Wortwechsel, worauf wir alle von der Rampe zurückgedrängt werden. Dann
fĂĽhrt man uns wieder in die Stadt ins Quartier zurĂĽck; kaum dort niedergelegt fĂĽhrt man
uns wieder, es ist mittlerweile Abend, auf den Bahnhof. Die Wagen fürs Gepäck sind je-
des Mal teuer. Um 9h abends fahren wir endlich ab, SĂĽsra. In SĂĽsra hat man uns von den
sechs uns recht lieben deutschen Kameraden getrennt.
13. Okt. Unser Zug besteht aus den Offizieren Tetjuschis, auĂźerdem kamen noch 2 Offi-
ziertransporte dazu, eine geringe Anzahl Mannschaften, und einige Wagons mit FlĂĽcht-
lingen. In unserem Wagon 4. Klasse sind 37 Herren, 3 Lagen ĂĽbereinander beim schla-
fen, sonst kaum zum rühren. In allen Stationen stehen endlose Züge mit Flüchtlingen  !
Gegen 2h sind wir wieder in Samara. 9h ab Samara. Scheussliches Schlafen  !
Rolf und seine Offizierskameraden mussten sich also wiederum mit einer Unterbringung
in Wagen 4. Klasse begnügen. Wie erwähnt, bezeichnete Rolf die Waggons als »sehr
praktisch eingerichtet«, obwohl sie sich laut der obigen Beschreibung kaum von den
Vieh- bzw. Güterwaggons unterschieden, die Elsa Brändström schilderte: »Die Güter-
wagen hatten zwei Reihen Holzpritschen, und in dem freien Mittelraum stand ein eiser-
ner Ofen. [  … 
] Gefangene pferchte man zu 32 bis 45 hinein. Im Winter waren die Trans-
porte mit den größten Strapazen verbunden. Selbst wenn der kleine Ofen ordentlich
geheizt wurde, gab es doch nur in seiner unmittelbaren Nähe eine starke Hitze. Die un-
teren Wagenecken blieben eisig, und die Kälte drang so durch die dünnen Wände, daß
die Kleider der Gefangenen, die an der Außenwand lagen, oft anfroren. [  …  ] Die Wagen
strotzten vor Ungeziefer.« (  S. 40  )
14. Okt. Ganzer Tag vergeht unter Suchen nach heiĂźem Wasser fĂĽr Tschai und nach Ess-
waren. Gar nichts vorgesehen. Soldaten wollen immer selbst kaufen gehen und verlangen
dann enorme Preise für die Sachen; uns lassen sie nicht weg. 1 R 50 erhalten  ! – Nichts
als Züge mit ganz jungen Soldaten zur Front, die alle fragen: ob bald Frieden  ! Und zahl-
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273