Page - 151 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
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Die Jahre in Sibirien 151
Honved [  Ungar. Landwehr  ] einem österreichischen Kommando nicht gehorchen wollte.
Damals haben sich die Herren dadurch Besserungen in den Wohnungen versprochen,
jetzt soll dies durchgefĂĽhrt werden, aber die Herren wollen nicht mehr, weil jetzt die Ver-
hältnisse viel enger geworden sind. Allgemeine Aufregung.
Vor einigen Tagen ist die rumänische Kriegserklärung und die ersten Folgen bekannt
geworden. Wir waren recht betroffen sind aber zuversichtlich, daĂź wir doch erfolgreich
bleiben werden. Gottlob ist meine Frau über den Sommer nach Österreich (  Goisern bei
Ischl  ) gefahren und vor den Unannehmlichkeiten gesichert. Ob ich wohl je wieder nach
Rumänien zurückkehren werde  ? Ich hoffe nicht und Mädy gewöhnt sich einstweilen an
die neuen Verhältnisse.
Die letzten Sätze dieser Tagebucheintragung deuten darauf hin, dass Rolf seinen Ent-
schluss, nach Bukarest zu gehen, offensichtlich bereits bereute, obwohl er dort als Ar-
chitekt erfolgreich gewesen war und von seinem Schwiegervater als Mitarbeiter äußerst
geschätzt wurde. Vielleicht war seine Liebe zu Hermine doch größer gewesen, als er je
erkennen lieĂź, und Rolf war nur deshalb nach Bukarest ĂĽbersiedelt. Vielleicht war ihm
aber auch der Gedanke unerträglich, in einem Land zu arbeiten, das sich mit seiner Hei-
mat im Krieg befunden und sich in einer militärisch und politisch ohnehin schwierigen
Situation gegen die Habsburgermonarchie gewendet hatte. Welche Ressentiments und
offenen Feindschaften mittlerweile zwischen den einzelnen Völkern und Volksgruppen
des Kontinents entstanden waren, konnte Rolf ja täglich im Lagerleben beobachten, da
sich auch einfache Angehörige unterschiedlicher Nationalitäten mehr und mehr gegen-
einanderstellten.
4. Oktober Kaisers Namenstag. Schon am 18. August war eine Messe [  anlässlich des Ge-
burtstages des Kaisers 
]. Auf Befehl des Majors Kahler hatten alle Herren an diesem Tag
Uniform zu tragen und mittags nach Möglichkeit gemeinsam zu speisen. Wir taten es
auch, nur Oblt. Siegl, den ich schon vom vorigen Fest des 18. Augusts kannte, blieb die-
sen Tag, um den Befehl nicht befolgen zu mĂĽssen zu hause, stellte sich wegen der russi-
schen Kontrollversammlung sogar vormittags krank, und blieb auch vom gemeinsamen
Mittagstische fern. Trotzdem er sonst keinen Gottesdienst versäumte, blieb er von die-
sem fern. – Am 4. Okt. nun benahm er sich genau so und ging zu unserer Schande vor
den russischen Offizieren während der Messe spazieren. Aktiver Offizier  ?  !
Die Schikanen der Russen wachsen ständig, weil sie die beiden Durchgänger nicht
erwischten. Nun haben wir einen 3 Meter hohen Bretterzaun mit Mastlampen in den
Ecken. Nachts steht vor jedem Haus ein Posten, zum Überfluß und lässt niemand her-
aus auch nicht auf die Latrine.
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Subtitle
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Author
- Inge Scheidl
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Category
- Biographien
Table of contents
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273