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Die Jahre in Sibirien 151
Honved [â Ungar. Landwehrâ ] einem österreichischen Kommando nicht gehorchen wollte.
Damals haben sich die Herren dadurch Besserungen in den Wohnungen versprochen,
jetzt soll dies durchgefĂŒhrt werden, aber die Herren wollen nicht mehr, weil jetzt die Ver-
hÀltnisse viel enger geworden sind. Allgemeine Aufregung.
Vor einigen Tagen ist die rumÀnische KriegserklÀrung und die ersten Folgen bekannt
geworden. Wir waren recht betroffen sind aber zuversichtlich, daĂ wir doch erfolgreich
bleiben werden. Gottlob ist meine Frau ĂŒber den Sommer nach Ăsterreich (â Goisern bei
Ischlâ ) gefahren und vor den Unannehmlichkeiten gesichert. Ob ich wohl je wieder nach
RumĂ€nien zurĂŒckkehren werdeâ ? Ich hoffe nicht und MĂ€dy gewöhnt sich einstweilen an
die neuen VerhÀltnisse.
Die letzten SĂ€tze dieser Tagebucheintragung deuten darauf hin, dass Rolf seinen Ent-
schluss, nach Bukarest zu gehen, offensichtlich bereits bereute, obwohl er dort als Ar-
chitekt erfolgreich gewesen war und von seinem Schwiegervater als Mitarbeiter Ă€uĂerst
geschĂ€tzt wurde. Vielleicht war seine Liebe zu Hermine doch gröĂer gewesen, als er je
erkennen lieĂ, und Rolf war nur deshalb nach Bukarest ĂŒbersiedelt. Vielleicht war ihm
aber auch der Gedanke unertrÀglich, in einem Land zu arbeiten, das sich mit seiner Hei-
mat im Krieg befunden und sich in einer militÀrisch und politisch ohnehin schwierigen
Situation gegen die Habsburgermonarchie gewendet hatte. Welche Ressentiments und
offenen Feindschaften mittlerweile zwischen den einzelnen Völkern und Volksgruppen
des Kontinents entstanden waren, konnte Rolf ja tÀglich im Lagerleben beobachten, da
sich auch einfache Angehörige unterschiedlicher NationalitÀten mehr und mehr gegen-
einanderstellten.
4. Oktober Kaisers Namenstag. Schon am 18. August war eine Messe [â anlĂ€sslich des Ge-
burtstages des Kaisersâ
]. Auf Befehl des Majors Kahler hatten alle Herren an diesem Tag
Uniform zu tragen und mittags nach Möglichkeit gemeinsam zu speisen. Wir taten es
auch, nur Oblt. Siegl, den ich schon vom vorigen Fest des 18. Augusts kannte, blieb die-
sen Tag, um den Befehl nicht befolgen zu mĂŒssen zu hause, stellte sich wegen der russi-
schen Kontrollversammlung sogar vormittags krank, und blieb auch vom gemeinsamen
Mittagstische fern. Trotzdem er sonst keinen Gottesdienst versÀumte, blieb er von die-
sem fern. â Am 4. Okt. nun benahm er sich genau so und ging zu unserer Schande vor
den russischen Offizieren wĂ€hrend der Messe spazieren. Aktiver Offizierâ ?â !
Die Schikanen der Russen wachsen stÀndig, weil sie die beiden DurchgÀnger nicht
erwischten. Nun haben wir einen 3 Meter hohen Bretterzaun mit Mastlampen in den
Ecken. Nachts steht vor jedem Haus ein Posten, zum ĂberfluĂ und lĂ€sst niemand her-
aus auch nicht auf die Latrine.
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂŒnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- MĂ€dy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in NĂ€sse und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen VerklÀrung und TraumabewÀltigung 91
- »Kriegsordnung« und KriegsgefangenenrealitÀt 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂŒrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »WeiĂen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha â Perwaja-Rjetschka â Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăbergangszeit 182
- AuftrĂ€ge und RĂŒckschlĂ€ge 189
- Das architektonische Werk 199
- StÀdtebauliche Planungen 203
- Ăffentliche GebĂ€ude und GeschĂ€ftsbauten 204
- Villen 214
- MiethÀuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂŒr uns 230
- Sehnsucht nach Ăsterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273