Seite - 238 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Bild der Seite - 238 -
Text der Seite - 238 -
China 238
richt gerade durchgenommen wurden, und Rolf nahm sich viel Zeit für Erklärungen und
sonstige Hilfestellungen, um die Ausbildung seiner Kinder zu fördern. Auf diese Weise
genossen die Kinder insgesamt eine erstklassige, großbürgerliche Erziehung: Sie erhiel-
ten Unterricht in Englisch und Französisch, lernten Klavierspielen, wurden künstlerisch
sowie kunsthandwerklich gefördert, und es wurde auf ihre sportliche Betätigung und
körperliche Ertüchtigung Bedacht genommen. In diesem Zusammenhang erwies sich
der Vater beispielsweise selbst als geduldiger Eislauflehrer für seine Kinder und brachte
ihnen auch Figurenlauf und Eistanz bei. Für viele Jahre wurde für Rolf das Eislaufen mit
den Kindern so zu einem sportlichen Fixpunkt während der Wintermonate.
In den 20er- und Anfang der 30er-Jahre endete in der Deutschen Schule der Unter-
richt nach der 9. Schulstufe, und die letzten drei Jahre, die erst die Matura ermöglicht
hätten, wurden vorerst nicht angeboten. Für die Eltern, die diese Option suchten, stan-
den daher damals im Prinzip nur zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Entweder wurden
die Kinder nach Europa zu Verwandten geschickt, oder die Kinder konnten in der Deut-
schen Schule in Shanghai diese fehlenden Jahre absolvieren.
Sowohl für Rolf als auch Hermine stand fest, dass die Kinder einen Maturaabschluss
erlangen sollten, allerdings war es für beide undenkbar, dass Mausi und Franz deswe-
gen das Elternhaus verlassen müssten. Bezeichnend für Rolf ist, dass er sich aktiv dieser
Situation stellte: Er wurde Mitglied im Vorstand des Schulvereins der Deutschen Schu-
le und wirkte in dieser Funktion engagiert an der Installierung drei weiterer, fortführen-
der Klassen mit. Der Höhepunkt von Rolfs diesbezüglichen Bemühungen war die ers-
te Maturafeier an dieser Schule im Jahr 1944. Neben seinen Kindern hatten noch drei
weitere Mitschüler die Matura abgelegt, und obwohl es sich somit um eine sehr kleine
Abschlussklasse handelte, wurden die ersten Absolventen des neuen »Schultyps« in der
ganzen Kommune freudig gefeiert.
Sehnsucht nach Österreich
Auch wenn sich Rolf anders als Hermine kaum in direkter Weise über sein Befinden, sei-
ne Ängste, Freuden und Hoffnungen geäußert hat, so lässt sich doch annehmen, dass
er sich in seinem neuen Lebensumfeld recht wohlgefühlt haben muss. Er war beruflich
erfolgreich, durch seine sportlichen Betätigungen gerade so weit gesellschaftlich inte-
griert, wie es ihm persönlich angenehm war, und später als Honorarkonsul eine aner-
kannte öffentliche Persönlichkeit der Stadt Tientsin.
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273