Seite - 159 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
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Die Jahre in Sibirien 159
gefangenen schonen wollen. – Wieder große Aufregung und das Bestreben von Dauria
wegzukommen, endlich wird die Evakuierung bewilligt.
Am 1. März früh hört man schießen, alles in größter Aufregung, was kann flieht. – Die
Bolschewiken sollen morden und plĂĽndern. Vormittags schieĂźt Artillerie in den Ort und
in das Lager, Gewehrfeuer. Die Kosaken, die auch eine Freiwilligenabteilung österreichi-
scher Serben bei sich hatten ziehen sich durch unser Lager durch zurĂĽck. Wir sind lan-
ge Zeit zwischen den beiden Schwarmlinien; aber niemand bekĂĽmmert sich um uns. Wir
schauen aber dem Gefecht ( 
?  ) zu. Mitten durch das Schießen wird der russische Oberst
der Baukommission mit seiner Familie, verkleidet in unsere Kaserne gebracht, da man fĂĽr
ihn fĂĽrchtet. Seine Wohnung wird auch sogleich erbrochen und ausgeplĂĽndert. Er und
seine Familie (  Frau, Sohn und 3 Töchter  ) blieben bei uns versteckt bis nach einigen Ta-
gen von uns mit den Russen bezĂĽglich seiner Sicherheit und Abreise verhandelt wurde.
Von uns wurden die Reste seiner Wohnungseinrichtung bei uns geborgen; in einigen Ta-
gen hat sich alles beruhigt. Die Schwarmlinie liegt zwar ganz nahe (  5 Werst  ) von unse-
rer Kaserne, aber die Bolschewiken haben ganz stramme Zucht, viel besser als Kosaken.
Von uns werden Schritte unternommen, um wegzukommen, um nicht bei eventuellem
Rückschlag wieder in die Hand der anderen Partei zu fallen. – Alle Russen sind außer-
ordentlich korrekt gegen uns und behelligen uns in keiner Weise. Wir sollen Waffen zu
unserer eigenen Bewachung bekommen, denn Räubereien und Todschläge, namentlich
an der Eisenbahn sind an der Tagesordnung. – Post leider gar keine mehr seit Monaten.
Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok
SchlieĂźlich wurden Rolf und seine Kameraden von Dauria nach Antipicha verlegt, einem
Lager, das etwas weiter westlich, in der Nähe des Lagers von Tschita lag. Dort verbrach-
te er weitere acht Monate, und auch diese Zeit war von den Kämpfen zwischen der Wei-
ßen und Roten Garde und somit von allgemeiner Unsicherheit geprägt. Doch selbst für
diesen Zeitraum ist Rolfs Beschäftigung mit Architekturfragen anhand einiger weniger
Skizzen dokumentiert.
13. März Abends Abfahrt von Dauria nach Antipicha. – Die Russen kaufen alles zusam-
men, was sie erhalten können; Möbel etc. führen sie noch am selben Abend gratis davon.
Fahrt miserabel. 28 Offiziere mit dem vielen Gepäck in einem Tepluschki [  Viehwaggon  ].
Ein Teil muss immer auf den Pritschen liegen, der andere im Mittelteil um den glĂĽhen-
den Ofen kauern. So brennt vorne Hose oder Mantel an, während der Rücken an der
SchiebetĂĽr eisig kalt hat.
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273